Fremdheit 2

Mit welchem Ohr lauschst du an einer Meerschnecke, die du am Strand gefunden hast, ob du das Rauschen der Tiefsee darin hören kannst? Auch unsere Ohren sind nicht zwei identische Ohren. Eines davon hört früher und lieber bestimmte Frequenzen. Du kennst das vom Hörtest beim Ohrenarzt.

Beim Geigespielen liegt das Instrument am Hals oder Schlüsselbein an, und zwar bei rechtshändiger Spielweise an der linken Körper- und Gesichtshälfte. Dein Ohr hat auf dieser Seite allernächsten, unmittelbaren Kontakt zum Instrument, so wie deine Knochen und Muskeln hier unmittelbarer als am restlichen Körper die Schwingungen des Instruments aufnehmen.

Drehe deine Spielrichtung um, und du hast eine neue Körperhälfte, die diese Art von Kontakt mit dem Klangholz noch nicht kennt; du hast ein neues Ohr, das erst noch das Hören so nah am Instrument lernen muss. 

Du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr dieselbe Musikerin.
Sei darauf vorbereitet, dass dein Klang unerhört sein wird.

Zusätzlich dazu hört dein „neues“ Ohr auch noch einen neuen Klang, den es vorher im Zusammenhang mit dir noch nicht gegeben hat. Denn du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr derselbe Musiker, dieselbe Geigerin wie die, die vorher mit dem rechten Arm gestrichen hat. Du wärest kein Musiker, wenn du nicht wüsstest, dass alle Anteile von dir im Klang hörbar sind, nicht nur Tonhöhe und Dezibel. Sei also darauf vorbereitet, dass dein Klang in mehrfacher Hinsicht unerhört sein wird. Gib dir Zeit, ihn hören- und kennenzulernen.

Es ist wahrscheinlich, dass du zu allem Überfluss an Fremdheit auch noch auf einem neuen, anderen Instrument spielst als vorher. Entweder, du hast ein Instrument, das dir schon gehörte, „auf links“ umbauen lassen oder du hast ein ganz neues, linkshändig eingerichtetes Instrument für dich gefunden. Ein ungewohntes Instrument am ungewohnten Ohr unter ungewohntem Auge, zusätzlich zu allem, was Gehirn und Nervenbahnen gerade in die Waagschale werfen, um es neu zu programmieren- noch Fragen?

Fremdheit 1

Wenn du deine Spielweise umstellst, dann bist du erstmal vor allem eins: dir selber fremd. Und diese Fremdheit ist eine Mehr- Komponenten- Fremdheit. Zwei Aspekte davon:

Fremdheit 1 – Augen

Hast du als Kind gern durch Schlüssellöcher geguckt? Dann mach es nochmal, jetzt gleich. Ich wette, du hast nicht vergessen, wie es geht. Und jetzt: guck mit dem anderen Auge hindurch. Ungewohnt? Ja, es ist ungewohnt. Wenn du wie die meisten Menschen bist, dann hast du ein Schlüsselloch- Auge, mit dem du guckst, und ein anderes, das du dabei zukneifst. Das Schlüsselloch- Auge kannst du auch dein Lieblingsauge nennen.

Beim Geigespielen wurde früh für dich festgelegt, dass dein linkes Auge näher am Instrument ist und über Steg, Saiten und Schnecke hinweg auf die Noten schaut, während das rechte Auge weiter davon entfernt bleibt. Der Unterschied in der Entfernung ist klein, aber er gibt deinem Körper eine Richtung an, eine Blick- Richtung. Änderst du deine Spielweise, kehrt sich deine Blickrichtung um, denn dann liegt das Instrument im anderen Arm. Nun liegt das rechte Auge nah zum Steg, überblickt die Saitenlage und folgt der Schnecke bis zum Notenbild. Es fühlt sich an, wie mit dem anderen Auge durchs Schlüsselloch zu gucken. Probiere es aus.

Fremdheit 2 – Ohren

Mit welchem Ohr lauschst du an einer Meerschnecke, die du am Strand gefunden hast, ob du das Rauschen der Tiefsee darin hören kannst? Auch unsere Ohren sind nicht zwei identische Ohren. Eines davon hört früher und lieber bestimmte Frequenzen. Du kennst das vom Hörtest beim Ohrenarzt.

Beim Geigespielen liegt das Instrument am Hals oder Schlüsselbein an, und zwar bei rechtshändiger Spielweise an der linken Körper- und Gesichtshälfte. Dein Ohr hat auf dieser Seite allernächsten, unmittelbaren Kontakt zum Instrument, so wie deine Knochen und Muskeln hier unmittelbarer als am restlichen Körper die Schwingungen des Instruments aufnehmen.

Drehe deine Spielrichtung um, und du hast eine neue Körperhälfte, die diese Art von Kontakt mit dem Klangholz noch nicht kennt; du hast ein neues Ohr, das erst noch das Hören so nah am Instrument lernen muss. 

Du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr dieselbe Musikerin.
Sei darauf vorbereitet, dass dein Klang unerhört sein wird.

Zusätzlich dazu hört dein „neues“ Ohr auch noch einen neuen Klang, den es vorher im Zusammenhang mit dir noch nicht gegeben hat. Denn du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr derselbe Musiker, dieselbe Geigerin wie die, die vorher mit dem rechten Arm gestrichen hat. Du wärest kein Musiker, wenn du nicht wüsstest, dass alle Anteile von dir im Klang hörbar sind, nicht nur Tonhöhe und Dezibel. Sei also darauf vorbereitet, dass dein Klang in mehrfacher Hinsicht unerhört sein wird. Gib dir Zeit, ihn hören- und kennenzulernen.

Es ist wahrscheinlich, dass du zu allem Überfluss an Fremdheit auch noch auf einem neuen, anderen Instrument spielst als vorher. Entweder, du hast ein Instrument, das dir schon gehörte, „auf links“ umbauen lassen oder du hast ein ganz neues, linkshändig eingerichtetes Instrument für dich gefunden. Ein ungewohntes Instrument am ungewohnten Ohr unter ungewohntem Auge, zusätzlich zu allem, was Gehirn und Nervenbahnen gerade in die Waagschale werfen, um es neu zu programmieren- noch Fragen?

 

Umerziehen, 3. Streich

Neben familiärer Prägung gibt es auch ganz pragmatische Gründe, warum Kleinkinder bereits lange vor dem Schuleintritt umgeschult werden. Ich habe das bei meinem Sohn miterlebt, der schon im Alter von wenigen Monaten eine klare Linkshändigkeit zeigte und nach kurzer Zeit in der Krippengruppe auf dem besten Wege war, umgeschult zu werden. Auch hier war kein böser Wille seiner beiden Erzieherinnen im Spiel, aber: Bei den ersten Mal-, Kleb-, Knet- und Schwungaktivitäten gibt praktisch jeder Mensch, der nicht selber linkshändig ist und das auch weiß (!), also gut 90% der Menschen (zu den Zahlen vergleiche Umerziehen, 2. Streich), dem Kind Wachsmaler, Kreide und Spielgerät in die rechte Hand. Hat das Kind da anfangs noch ein Wackeln in der Annahme, verzichtet es meistens recht bald auf den Zusatzaufwand des In-die-eigene-andere-Hand-Rübergebens.

Anfangs hat das Kind noch ein Wackeln in der Annahme…..bald nicht mehr.

Denn was vom Erwachsenen kommt und wie es kommt, ist richtig und das möchte es lernen. Bleibt das Kind trotz des ständig wiederholten Anbietens in die rechte Hand bei seiner Linken und akzeptiert den Mehraufwand, sich das Gerät selbst noch einmal neu zurechtlegen zu müssen, dann besitzt das Kind entweder einen bewundernswürdigen Trotz, oder es trägt ein sehr gesundes Selbstwertgefühl in sich, oder es neigt in Anteilen zum autistischen Spektrum. Es muss nämlich ein MEHR an Kraft aufbringen im Vergleich zum wirklich rechtshändigen Kind, welches das Gerät aus der anbietenden Hand direkt annimmt und gleich loslegt. Dieses MEHR an Kraftaufwand braucht das Kind auch später unaufhörlich, wenn es entgegen seiner genetisch festgelegten Händigkeit schreibt, malt, musiziert. Der Mehraufwand für das Umlenken der Aktivität von der prädestinierten Hirnhälfte zur nachgeordneten Hirnhälfte – allein auf Grund des Gebrauchs der ungünstigeren Hand – wird im Buch Der Knoten im Gehirn oder Der umgeschulte Linkshänder von Johanna Barbara Sattler mit etwa 35% der Hirnaktivität beziffert. Das heißt, ein linkshändiges Kind, das rechtshändig schreiben, malen, musizieren muss, benötigt dauerhaft ein Drittel mehr Gehirnkraft als ein rechtshändiges Kind, um den Umweg zu bewältigen.

Kinder reagieren mit Überforderungsgefühlen, mit scheinbar unerklärlicher Wut, mit Kopfschmerzen und Sehschwäche und natürlich mit inneren Schwankungen auf diese Anstrengung. Die Schwankungen zeigen sich unter anderem in ihrer schulischen Motivation und Leistung, in ihren Stimmungen, in ihrem Gefühl für sich selbst, in ihrem Antrieb dem Leben gegenüber. Umgeschulte linkshändige Kinder können häufig nur ein schwaches, sozusagen verzerrtes Selbstbewusstsein entwickeln und zeigen in Schule und (später) Beruf weniger oder anderes als das, was in ihnen steckt.  

Mehr von den Hirnhälften

Jetzt ein kleiner Ausflug in andere Körperregionen, die auch von der Hirnhälftendominanz berührt werden:

Wenn du, sagen wir, gern Fußball spielst, dann hast du höchstwahrscheinlich einen Fuß, mit dem du den Ball öfter ins Tor bringst als mit dem anderen; einen Fuß, der beim Ausdribbeln tänzelt und antäuscht und einen, der den Dribbler dabei aufrecht hält; und wenn Fußball nicht dein Sport ist, dann hast du vielleicht einen Fuß, mit dem du sicher auf dem Tretroller stehst und einen, mit dem du Anschwung gibst. Den jeweils anderen Fuß zu trainieren, hilft beiden und macht Spaß; ändert aber nichts daran, mit welchem Fuß du letztlich fester und genauer schießen kannst. Standbein und Spielbein sind ein Ergebnis davon, dass deine Hirnhälften sich die Arbeit aufteilen, eine Seite aber den Ton angibt.

Es gibt auch ein Auge, das an die Linse des (analogen) Fotoapparats geht, und eines, das sich hinten anstellt. Es gibt auch ein Ohr, das den Ton beim Hörtest in der Ohrenarztpraxis früher hört als das andere. Es gibt eine Seite der Hüfte, mit der die Bauchtänzerin schöner kreisen kann als mit der anderen; so sehr sie auch beide trainiert hat und sie natürlich beide wunderschön sind. Wenn du Kinder gestillt hast, dann weißt du, dass eine Seite deiner Brust mehr Milch produziert, also nahrhafter ist als die andere; das ist deine „Schokoladenseite“. Und trotzdem hat die Natur beide Seiten gemacht. Auf eine zu verzichten wäre wirklich keine gute Idee.

An dieser Ungleichseitigkeit ist nichts zu machen – wäre etwas daran zu machen, würden die Fußballnationalspieler längst so trainiert, dass sie nicht Links-, nicht Rechts-, sondern Beidschützen wären, weil das auf dem Rasen ein Riesenvorteil wäre. Es ist aber nichts daran zu machen, und deswegen wird der Trainer bei der Aufstellung seiner Spieler unter anderem berücksichtigen, welcher Fuß seiner Torjäger jeweils der stärkere ist und sie entsprechend zum Tor platzieren.

Deine Füßigkeit, die Ohrigkeit und Äugigkeit sagen nun nicht unbedingt etwas über deine Händigkeit aus (natürlich auch nicht über deine Hüftigkeit, welche noch weniger erforscht ist als die anderen -keiten). Oft haben Linkshänder ein stärkeres rechtes Bein, Rechtshänder ein stärkeres linkes; sagte ich schon, dass die Natur gerne ausgleichend arbeitet? – Es ist aber davon nichts bewiesen und daran ist das Schöne: du darfst dich überraschen lassen! Bei jedem Menschen ist alles wieder anders.

Umerziehen, 2. Streich

Ein erheblicher Anteil der linkshändigen Kinder ist zum Zeitpunkt des Schuleintritts bereits zum vermeintlichen Rechtshänder umgeschult worden. Wie das geschieht: natürlich nicht mit Absicht! Oft aber durch die unbewusste, niemals laut ausgesprochene Grundhaltung: erstmal probieren, ob’s normal geht; und wenn das gar nicht gehen will, dann sehen wir halt weiter.

Früher ging man von einem Linkshänderanteil von etwa 4% aller Menschen aus. Das war in der Zeit, als das Umerziehen noch zum guten pädagogischen Ton gehörte und körperliche Gewalt ein legitimes Mittel für vieles war (man denke an auf dem Rücken festgebundene, „hässliche“ Hände und den allgegenwärtigen Rohrstock). Heute, wo Pädagogen nicht mehr absichtsvoll, manchmal aber leider unabsichtlich umschulen, kursiert die Zahl von 10% Linkshänderanteil. Tatsächlich gehen viele, die sich mit dem Thema schon lange beschäftigen, von etwa 35-45% Linkshändern aus (vergleiche J.B. Sattler, Der umgeschulte Linkshänder oder der Koten im Gehirn).

Die Differenz, also etwa 25-35% aller Menschen, können versteckte oder verdeckte Linkshänder genannt werden.

Wie ist das möglich? Oft tragen Familien seit Generationen das Phänomen von umgeschulter Linkshändigkeit mit sich.

Häufig höre ich den Satz, von jemandem auf mein linkshändiges Spielen angesprochen: „Ja, in unserer Familie haben wir auch ganz viele Beidhänder, und ich hab früher auch vieles mit links gemacht“. Das ist okay. Nur:

Es gibt keine Beidhänder.

Es gibt lediglich Menschen mit rechtsseitiger oder linksseitiger Hirnhälftendominanz, die ihre jeweils andere Seite gut trainiert haben und damit einen hohen Grad von Kommunikation zwischen beiden Gehirn- und Körperhälften erreichen. Dies ist jedem Menschen mit entsprechender Übung möglich. Die meisten vermeintlichen Beidhänder sind mit hoher Wahrscheinlichkeit umgeschulte Linkshänder.

Geprägtes Hirn, geprägte Hand

Momentaufnahme aus der Geigenbau- Meisterwerkstatt Frank Frobeen, Hamburg

Hier sei ein hochkomplexes Geschehen in eigenen und einfachen Worten widergegeben:

Unser Gehirn hat zwei Hälften, und diese Hirnhälften arbeiten arbeitsteilig. Ganz grob gesagt, ist die linke Gehirnhälfte auf lineares und analytisches Denken spezialisiert, setzt gerne Dinge logisch aneinander und schlussfolgert systematisch und kausal. Sie ist gut darin, Struktur zu stiften, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu nutzen. Beim Verknüpfen geht sie vernünftig, also rational vor. In der Musik ordnet sich die linke Gehirnhälfte dem Rhythmus und der Zeit zu (inklusive dem Zählen!).

Die rechte Hirnhälfte dagegen nimmt in Situationen leicht „alles auf einmal“ wahr, sieht also ganzheitlich. Sie ist bezogen auf den gegenwärtigen Augenblick und beherbergt das tonale Gedächtnis. Die rechte Gehirnhälfte verknüpft Phänomene räumlich anstatt linear, also in Formen und Mustern, und steht in engem Austausch mit unserer Intuition. Sie geht gerne kreisförmig vor und kommt im Arbeitsprozess oft zu Lösungen, die als wirklich neu, ja, als schöpferisch bezeichnet werden können; weil die Fantasie für diese Seite das Arbeitsmittel ist.

Die spezialisierten Leistungen beider Hälften ergeben zusammen, was wir tun.

Diese Hirnhälften korrespondieren mit jeweils einer Hand; da die Natur gerne sich überkreuzende und sich spiralförmig drehende Dynamiken geschaffen hat, korrespondiert die rechte Hirnhälfte mit der linken Hand, und die linke Hirnhälfte mit der rechten Hand. Das ist immer so. Da aber bei jedem Menschen immer nur eine der Gehirnhälften impulsgebend ist und im Gesamtprozess die größere Rolle spielt, hat auch jeder Mensch nur eine Hand, die prädestiniert ist, für sein Handeln den Ton anzugeben. Diese sogenannte Hirnhälftendominanz ist genetisch festgelegt und nicht umkehrbar, umlernbar oder umerziehbar. So ist beispielsweise bei eineiigen Zwillingspaaren üblicherweise der eine Zwilling rechts-, der andere linkshändig; natürlich nur, sofern nicht um-erziehend eingegriffen wird.

Ich selbst wähle für diese Grundprägung lieber das Wort „prädestiniert“ statt „dominant“, da mir der Begriff der Dominanz nicht so gut gefällt. Ein Einteilen der Hände in dominant und untergeordnet, in Schwarz und Weiß, in gute Hand und böse Hand scheint mir nicht immer hilfreich. Manche Menschen spüren den Druck, wenn sie ihre bisher verschüttete Händigkeit entdecken, alles sofort mit der bisher zu kurz gekommenen Hand machen zu wollen, was oft zu Überforderung und zu neuer Verengung und letztlich Leiden führt. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass, wenn eine verschüttete Hirnhälften- und Handprägung erst einmal zu Bewusstsein und ans Licht gekommen ist, sich tausendfache Facetten und Möglichkeiten eröffnen, sie auszugestalten.   

Welche Hand also für welche Tätigkeit deine Lieblingshand ist, das kommt aus deinem Innersten (hier: Gehirn) und hat erstmal nur mit deinem Innersten etwas zu tun. Mit diesem Innersten, wo Hirn und Neuronen und Emotionen und Synapsen dich dazu bringen, etwas Bestimmtes jetzt sofort SO zu tun, einfach weil es aufregend ist und dich glücklich macht.

Ein Beispiel: Das Baby schwingt die Rassel mit Händen und Füßen, Mund und allem, was es bewegen kann, weil es vom Klang und von der Haptik und dem ganzen Rassel-Erleben fasziniert ist; aber bald wird es mit einer Hand länger und schöner rasseln als mit der anderen und auch länger als mit seinen Füßen; dies ist die Hand, mit der es rasseln sollte. Punkt. So wollte es der Schöpfer. Nimmst du dem Baby aber jetzt die Rassel aus der Hand und legst sie ihm oft genug in die andere, nimmst du ihm den größten Teil seiner Rassel-Lust. Lernen wird es dennoch sehr schnell, und zwar: dass du es so möchtest. Dass sein erstes Gefühl nicht richtig war.

Und schon ist es passiert: die Verbindung zwischen Hand(eln) und Selbst(sein) wurde gestört. Wer der Meinung ist, dass „sowas heutzutage doch nicht mehr geschieht“, der ist eingeladen, genauer hinzusehen. Mehr dazu in „Umerziehen 1-3“.

Umerziehen, 1. Streich

Wer der Meinung ist, dass heute kein linkshändiges Kind mehr umgeschult wird, der gehe in eine gut sortierte Spielwarenhandlung und betrachte die Spielzeuge genau: die Feuerwehrwagen, die ihre Kurbeln für Löschschlauch und Leiter ausnahmslos rechts von der Spule haben. Die Hubschrauber, deren Transportseile ebenfalls per Spule herunter- und wieder eingefahren werden können, angebracht natürlich rechts vom Heck. Die Spielzeugkassen, die über entzückende Eingabetasten und Quittierhebel verfügen, die entscheidenden Funktionen alle rechtsseitig angebracht. Die Telefone, die den Hörer/ das Hörerkabel auf der rechten Seite haben. Und natürlich die wunderbaren Zaubertafeln (heute Kleinkindtablets), deren Zauberstift mit einem Band an der rechten Seite der Tafel angebracht ist, welches zu kurz ist, um mit der linken Hand nach dem Über-die Tafel-Greifen auf der Tafelfläche auch nur eine kleine Welle zu malen; durch eindeutige Bebilderung wird dem Kind unmissverständlich gezeigt, wie rum die Tafel gehalten gehört (Umdrehen ist für ein vernünftiges Kind kaum möglich, wenn dadurch Schneewittchen auf dem Kopf steht).  

Weiter geht es im Kindergarten und in der Grundschule: Eine Bastelschere ist im Handel erstmal eine Bastelschere; möchtest du eine Linkshänder- oder beidseitig brauchbare Bastelschere, dann musst du es laut und rechtzeitig sagen und bekommst möglicherweise trotzdem keine. Dass ein normaler Anspitzer nur funktioniert, wenn du den Stift mit der rechten Hand hineinsteckst, fällt dir erst auf, wenn du es einmal andersrum probierst, oder alternativ: wenn du einmal versuchst, mit einem speziellen Linkshänderanspitzer in rechtshändiger Manier zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Wenn du schon dabei bist, kannst du mit deiner rechten Hand einen, sagen wir, 15cm langen Strich mit Hilfe eines Linkshänderlineals aufs Papier zeichnen und wirst entdecken, dass du rückwärts zählen musst: bei 15 setzt du an und bei 0 hörst du auf – denn sorum zeichnest du. Genauso geht es dem Linkshänder, der ein Rechtshänderlineal benutzt: er muss ständig um- und rückwärtsdenken.

Das Schreibenlernen ist eine noch größere Klippe als das Malenlernen. Wie viele Lehrkräfte an unseren Grundschulen sind ausgebildet für die besonderen Erfordernisse des Linksschreibens in unserer rechtshändig ausgelegten Schrift? Ein linkshändiges Kind muss ja die Schwünge von links nach rechts über das Papier schieben anstatt sie zu ziehen– die Bewegung ist das Gegenteil von dem, worauf die Schulbücher ausgelegt sind und braucht andere Anleitung. Oft sind aber selbst linkshändige Lehrerinnen und Lehrer aus ihrer eigenen Lernzeit unsicher in Bezug auf eine gute Stift-, Heft- und Körperhaltung, weil sie selbst nicht darin unterstützt wurden, sondern sich „durchwurschteln“ mussten- und geben dies an die Kinder weiter. Rechtshändige Lehrerinnen und Lehrer rechnen oft schlichtweg nicht mit linkshändigen Kindern und sind nicht auf deren Bedarfe vorbereitet. Dann hört das linkshändige Kind von Lehrern ein schulterzuckendes „Dann mach’s halt andersrum“. Es ist aber leider nicht genug, ein Kind beim Schreibenlernen sich selbst zu überlassen. Grundschulpädagoginnen und -pädagogen müssen ausgebildet werden, um auch linkshändige Kinder erkennen, begleiten und stärken zu können.