Geprägtes Hirn, geprägte Hand

Momentaufnahme aus der Geigenbau- Meisterwerkstatt Frank Frobeen, Hamburg

Hier sei ein hochkomplexes Geschehen in eigenen und einfachen Worten widergegeben:

Unser Gehirn hat zwei Hälften, und diese Hirnhälften arbeiten arbeitsteilig. Ganz grob gesagt, ist die linke Gehirnhälfte auf lineares und analytisches Denken spezialisiert, setzt gerne Dinge logisch aneinander und schlussfolgert systematisch und kausal. Sie ist gut darin, Struktur zu stiften, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu nutzen. Beim Verknüpfen geht sie vernünftig, also rational vor. In der Musik ordnet sich die linke Gehirnhälfte dem Rhythmus und der Zeit zu (inklusive dem Zählen!).

Die rechte Hirnhälfte dagegen nimmt in Situationen leicht „alles auf einmal“ wahr, sieht also ganzheitlich. Sie ist bezogen auf den gegenwärtigen Augenblick und beherbergt das tonale Gedächtnis. Die rechte Gehirnhälfte verknüpft Phänomene räumlich anstatt linear, also in Formen und Mustern, und steht in engem Austausch mit unserer Intuition. Sie geht gerne kreisförmig vor und kommt im Arbeitsprozess oft zu Lösungen, die als wirklich neu, ja, als schöpferisch bezeichnet werden können; weil die Fantasie für diese Seite das Arbeitsmittel ist.

Die spezialisierten Leistungen beider Hälften ergeben zusammen, was wir tun.

Diese Hirnhälften korrespondieren mit jeweils einer Hand; da die Natur gerne sich überkreuzende und sich spiralförmig drehende Dynamiken geschaffen hat, korrespondiert die rechte Hirnhälfte mit der linken Hand, und die linke Hirnhälfte mit der rechten Hand. Das ist immer so. Da aber bei jedem Menschen immer nur eine der Gehirnhälften impulsgebend ist und im Gesamtprozess die größere Rolle spielt, hat auch jeder Mensch nur eine Hand, die prädestiniert ist, für sein Handeln den Ton anzugeben. Diese sogenannte Hirnhälftendominanz ist genetisch festgelegt und nicht umkehrbar, umlernbar oder umerziehbar. So ist beispielsweise bei eineiigen Zwillingspaaren üblicherweise der eine Zwilling rechts-, der andere linkshändig; natürlich nur, sofern nicht um-erziehend eingegriffen wird.

Ich selbst wähle für diese Grundprägung lieber das Wort „prädestiniert“ statt „dominant“, da mir der Begriff der Dominanz nicht so gut gefällt. Ein Einteilen der Hände in dominant und untergeordnet, in Schwarz und Weiß, in gute Hand und böse Hand scheint mir nicht immer hilfreich. Manche Menschen spüren den Druck, wenn sie ihre bisher verschüttete Händigkeit entdecken, alles sofort mit der bisher zu kurz gekommenen Hand machen zu wollen, was oft zu Überforderung und zu neuer Verengung und letztlich Leiden führt. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass, wenn eine verschüttete Hirnhälften- und Handprägung erst einmal zu Bewusstsein und ans Licht gekommen ist, sich tausendfache Facetten und Möglichkeiten eröffnen, sie auszugestalten.   

Welche Hand also für welche Tätigkeit deine Lieblingshand ist, das kommt aus deinem Innersten (hier: Gehirn) und hat erstmal nur mit deinem Innersten etwas zu tun. Mit diesem Innersten, wo Hirn und Neuronen und Emotionen und Synapsen dich dazu bringen, etwas Bestimmtes jetzt sofort SO zu tun, einfach weil es aufregend ist und dich glücklich macht.

Ein Beispiel: Das Baby schwingt die Rassel mit Händen und Füßen, Mund und allem, was es bewegen kann, weil es vom Klang und von der Haptik und dem ganzen Rassel-Erleben fasziniert ist; aber bald wird es mit einer Hand länger und schöner rasseln als mit der anderen und auch länger als mit seinen Füßen; dies ist die Hand, mit der es rasseln sollte. Punkt. So wollte es der Schöpfer. Nimmst du dem Baby aber jetzt die Rassel aus der Hand und legst sie ihm oft genug in die andere, nimmst du ihm den größten Teil seiner Rassel-Lust. Lernen wird es dennoch sehr schnell, und zwar: dass du es so möchtest. Dass sein erstes Gefühl nicht richtig war.

Und schon ist es passiert: die Verbindung zwischen Hand(eln) und Selbst(sein) wurde gestört. Wer der Meinung ist, dass „sowas heutzutage doch nicht mehr geschieht“, der ist eingeladen, genauer hinzusehen. Mehr dazu in „Umerziehen 1-3“.

Umerziehen, 1. Streich

Wer der Meinung ist, dass heute kein linkshändiges Kind mehr umgeschult wird, der gehe in eine gut sortierte Spielwarenhandlung und betrachte die Spielzeuge genau: die Feuerwehrwagen, die ihre Kurbeln für Löschschlauch und Leiter ausnahmslos rechts von der Spule haben. Die Hubschrauber, deren Transportseile ebenfalls per Spule herunter- und wieder eingefahren werden können, angebracht natürlich rechts vom Heck. Die Spielzeugkassen, die über entzückende Eingabetasten und Quittierhebel verfügen, die entscheidenden Funktionen alle rechtsseitig angebracht. Die Telefone, die den Hörer/ das Hörerkabel auf der rechten Seite haben. Und natürlich die wunderbaren Zaubertafeln (heute Kleinkindtablets), deren Zauberstift mit einem Band an der rechten Seite der Tafel angebracht ist, welches zu kurz ist, um mit der linken Hand nach dem Über-die Tafel-Greifen auf der Tafelfläche auch nur eine kleine Welle zu malen; durch eindeutige Bebilderung wird dem Kind unmissverständlich gezeigt, wie rum die Tafel gehalten gehört (Umdrehen ist für ein vernünftiges Kind kaum möglich, wenn dadurch Schneewittchen auf dem Kopf steht).  

Weiter geht es im Kindergarten und in der Grundschule: Eine Bastelschere ist im Handel erstmal eine Bastelschere; möchtest du eine Linkshänder- oder beidseitig brauchbare Bastelschere, dann musst du es laut und rechtzeitig sagen und bekommst möglicherweise trotzdem keine. Dass ein normaler Anspitzer nur funktioniert, wenn du den Stift mit der rechten Hand hineinsteckst, fällt dir erst auf, wenn du es einmal andersrum probierst, oder alternativ: wenn du einmal versuchst, mit einem speziellen Linkshänderanspitzer in rechtshändiger Manier zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Wenn du schon dabei bist, kannst du mit deiner rechten Hand einen, sagen wir, 15cm langen Strich mit Hilfe eines Linkshänderlineals aufs Papier zeichnen und wirst entdecken, dass du rückwärts zählen musst: bei 15 setzt du an und bei 0 hörst du auf – denn sorum zeichnest du. Genauso geht es dem Linkshänder, der ein Rechtshänderlineal benutzt: er muss ständig um- und rückwärtsdenken.

Das Schreibenlernen ist eine noch größere Klippe als das Malenlernen. Wie viele Lehrkräfte an unseren Grundschulen sind ausgebildet für die besonderen Erfordernisse des Linksschreibens in unserer rechtshändig ausgelegten Schrift? Ein linkshändiges Kind muss ja die Schwünge von links nach rechts über das Papier schieben anstatt sie zu ziehen– die Bewegung ist das Gegenteil von dem, worauf die Schulbücher ausgelegt sind und braucht andere Anleitung. Oft sind aber selbst linkshändige Lehrerinnen und Lehrer aus ihrer eigenen Lernzeit unsicher in Bezug auf eine gute Stift-, Heft- und Körperhaltung, weil sie selbst nicht darin unterstützt wurden, sondern sich „durchwurschteln“ mussten- und geben dies an die Kinder weiter. Rechtshändige Lehrerinnen und Lehrer rechnen oft schlichtweg nicht mit linkshändigen Kindern und sind nicht auf deren Bedarfe vorbereitet. Dann hört das linkshändige Kind von Lehrern ein schulterzuckendes „Dann mach’s halt andersrum“. Es ist aber leider nicht genug, ein Kind beim Schreibenlernen sich selbst zu überlassen. Grundschulpädagoginnen und -pädagogen müssen ausgebildet werden, um auch linkshändige Kinder erkennen, begleiten und stärken zu können.

Doppelt real (zweispurig fahren)

Mittlerweile hat es sich gelegt, aber vor ein paar Jahren noch habe ich manchmal auf beiden Seiten gleichzeitig Geige gespielt. Nicht in echt natürlich- aber im Kopf. Mein linker Arm führte den Bogen über die Geige, die der rechte hielt. Vor meinem inneren Auge aber sah ich meinen rechten Arm das Gleiche in die entgegengesetzte Richtung tun und fühlte die Nervenbahnen beiderseits die Bewegungen ausführen.

Schreibst du ab und zu beidhändig in Spiegelschrift, ein Stift rechts, ein Stift links und angefangen in der Blattmitte? Dann weißt du, was ich meine.

Die Empfindung hatte ich besonders dann, wenn ich im Ensemble spielte, also von rechtsspielenden Kolleginnen umgeben war, deren Bewegungen ich gleichzeitig zu meinen wahrnahm. Spielte ich alleine zu Hause, stellte sich das Phänomen nicht ein. Eine Neurologin wird recht einfach erklären können, was hierbei abläuft. Mir persönlich reicht es, es erlebt zu haben. Auch in Träumen kann es auftreten. Und da ist es schönerweise keine Hürde, mit rechts und mit links, mit den Füßen und dem ganzen Körper gleichzeitig zu musizieren!

Über diesen Blog

Dieser Blog ist eine Sammlung von Momentaufnahmen meines Umlernen von rechts auf links. Ich verstehe ihn wie ein Kaleidoskop. Die einzelnen Steinchen, die du darin findest, kannst du wie kleine bunte Kristalle in einem Kaleidoskop vor dir drehen und wenden – bei gutem Licht siehst du jedes Mal ein neues Muster. Es sind Kieselsteinchen des Weges, den ich gegangen bin. Darum sind sie ganz und gar subjektiv – sie erheben keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vergleichbarkeit oder Allgemeingültigkeit. Und obwohl ich beim Schreiben öfters die du- Form verwende, geben diese Fragmente dir keinen Rat. Diese Form hilft mir, mich mit dir, liebe Leserin und lieber Leser, in Gedanken zu verbinden. Ich versuche mir vorzustellen, welche Kristalle oder Kieselsteinchen dich mehr als andere interessieren könnten. Davon abgesehen habe ich mir vorgenommen, in allem so genau wie möglich zu sein und hoffe, dass du damit einverstanden bist.

Ob und wie oft du durch das Kaleidoskop schauen magst, und in welche Richtung du die Fragmente dabei wendest, bestimmst du alleine. Was du darin siehst oder erkennst, ist dann schon Teil deines Weges und nicht mehr meines. Ich freue mich sehr, dass du einen Blick in das Kaleidoskop werfen möchtest – fangen wir an!