Über diesen Blog

Dieser Blog ist eine Sammlung von Momentaufnahmen meines Umlernen von rechts auf links. Ich verstehe ihn wie ein Kaleidoskop. Die einzelnen Steinchen, die du darin findest, kannst du wie kleine bunte Kristalle in einem Kaleidoskop vor dir drehen und wenden – bei gutem Licht siehst du jedes Mal ein neues Muster. Es sind Kieselsteinchen des Weges, den ich gegangen bin. Darum sind sie ganz und gar subjektiv – sie erheben keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vergleichbarkeit oder Allgemeingültigkeit. Und obwohl ich beim Schreiben öfters die du- Form verwende, geben diese Fragmente dir keinen Rat. Diese Form hilft mir, mich mit dir, liebe Leserin und lieber Leser, in Gedanken zu verbinden. Ich versuche mir vorzustellen, welche Kristalle oder Kieselsteinchen dich mehr als andere interessieren könnten. Davon abgesehen habe ich mir vorgenommen, in allem so genau wie möglich zu sein und hoffe, dass du damit einverstanden bist.

Ob und wie oft du durch das Kaleidoskop schauen magst, und in welche Richtung du die Fragmente dabei wendest, bestimmst du alleine. Was du darin siehst oder erkennst, ist dann schon Teil deines Weges und nicht mehr meines. Ich freue mich sehr, dass du einen Blick in das Kaleidoskop werfen möchtest – fangen wir an!

Wie das Linksspielen begann

Mit Ende 20 entdeckte ich durch Zufall meine Linkshändigkeit, und eine Forschungsreise begann. Kneten wie im Kindergarten, Schwungübungen mit Wachsmalstiften, Tuschen und Zeichnen, schließlich Schreiben mit der linken Hand- alles war neu und aufregend schön. Besonders das Schreiben mit links setzte Informationen frei, die mir bisher über mich selbst verborgen gewesen waren. Ich wurde zwar kein neuer Mensch, aber ich merkte doch, dass der Mensch, der ich war, von innen her eine andere Form annahm, eine deutliche Gestalt.

Nach einiger Zeit probierte ich natürlich auch aus, mit links Geige zu spielen- das war im Jahr 2009. Und siehe da- das Empfinden im Bogenarm war ein anderes als mit rechts. Nach diesem grundigen, satten Bogenstrich, der tief in der Saite liegt und nicht nur über sie hinwegzieht, hatte ich immer gesucht. Fasziniert übte ich weiter. Zunächst waren nur 2 -3 Minuten am Tag möglich, denn im Gehirn startete jedes Mal ein Funkenflug und Schneegestöber, mit denen Vorsicht geboten war. Bald konnte ich die Dauer langsam erhöhen und mit dem Aufsetzen der rechten Hand beginnen.

Dann, es war ungefähr 2010, arbeitete ich mit befreundeten Musikerinnen, besonders aber mit Hilfe der Dispokinese, einer speziellen Körperarbeit für Musiker, das Streichen auf beiden Seiten nochmals auf. Denn jeder weiß: einen neuen Bewegungsablauf, eine neue Fertigkeit gleich welcher Art zu lernen, ist immer schön und beflügelnd. Und ich wollte verhindern, dass ich mich von dem spontan sehr guten Gefühl des Linksstreichens und von den ersten Erfolgen zu vorschnellen Entscheidungen treiben ließ. Im Laufe der Arbeitseinheiten mit den erfahrenen Dispokinetikerinnen Anna Kuwertz (Freiburg) und Corinna Hildebrand (Bremen), Letztere meine Kollegin und Freundin, bestätigte sich, was ich bereits geahnt hatte: dass es da etwas gab, ein letztes Quentchen von Ton- und Körperqualität, das ich mit links schon besaß und mit rechts auch nach 20 Jahren Spielpraxis nicht erreicht hatte.

Und so entschied ich mich, umzulernen. Quasi ohne Übergang erschien ich bei der nächsten Mugge (einer einfach besetzten Bachkantate in Lilienthal bei Bremen, 2011) mit dem Instrument in der anderen Hand. Schnell war ich im Stande, die gewohnte Literatur in den gewohnten Ensembles, jetzt eben anders herum, zu spielen. Doch der Umlernprozess forderte enorme Anstrengungen, die größtenteils nur für mich selber wahrnehmbar waren. Was folgte, war eine lange, eine sehr lange Durststrecke.

Und so lange hat es gedauert, bis ich eine Tonleiter nicht nur korrekt pitchen, sondern wieder so wie ich wollte intonieren, also einfärben konnte: 2-3 Jahre. Bis ich die barocken Springbögen nicht nur abheben, sondern auch ganz sicher wieder auf die Saite zurückführen konnte: 3-4 Jahre. Bis ich in einem Orchester wieder ohne Angst den Stimmton von der Konzertmeisterin abnehmen konnte, und ich meine die Angst, die befürchtet, dass die rechte Hand den Wirbel nicht richtig im Griff haben könnte: 5-6 Jahre.

Mir ist vieles passiert, was ich meinem schlimmsten Feind nicht wünsche: In Händels Messias ist mir in einer Generalpause der Bogen auf die Saite gefallen, weil ich eben doch noch nicht wieder die volle Kontrolle hatte. Und ja, Wirbel sind abgestürzt, weil die rechte Hand das Stimmen erst lernen musste. Wirbel stürzen auch so manchmal ab, aber die Angst, den Vorgang nicht unter Kontrolle zu bekommen, erschien während des Umlernens vergrößert wie durch ein riesiges Brennglas.

Und immer wieder habe ich geprüft, ob dieser Weg die Mühen wert war: so habe ich einmal eine Saison lang (das war 2012) wieder rechtsherum gespielt, eine ganze Serie von Projekten, denn ich wollte sehen, ob ich es nicht trotz aller Erkenntnisse bei dieser einfacheren Wahl belassen und meinen musikalischen Weg trotzdem weiter zufrieden gehen könnte. Das Ergebnis war: ich verabschiedete mich endgültig vom rechtshändigen Spiel und ließ alle meine Instrumente umbauen bzw. verkaufen, und diese Entscheidung ist gültig bis heute.

Schon an anderer Stelle habe ich geschrieben: ich wünsche niemandem, diesen Weg gehen zu müssen. Ich aber wollte ihn gehen, und: ja, ich würde es wieder tun!

Druck (von außen)

Wenn du dich bereits mit händigkeitsgerechtem Musizieren und möglichem Um- und Rückschulen beschäftigt hast, dann ist dir wahrscheinlich der Satz begegnet, dass Druck dem Prozess nicht förderlich ist. Dies möchte ich unterstreichen:

Druck ist dem Prozess nicht förderlich.

Ich rede nicht von der Wohltat, die gewisse Verbindlichkeiten mit sich bringen: es ist gut, einen Konzerttermin zu haben, bis zu dem ein Programm stehen muss; eine Uhrzeit für Probenanfang und -ende, die nicht du selbst dir setzt, sondern die einfach auf deinem Zettel stehen und für die du gebucht bist und Punkt. Diese Rahmenbedingungen tun gut und entlasten.

Be-lastend dagegen ist es, wenn du während deines Umlernens ernsthaften Existenzängsten ausgesetzt bist; wenn du nicht weißt, wie du die Miete und das Essen bezahlen sollst, weil du weniger Pensum bewältigst als früher und dadurch weniger Einkommen hast; belastend ist, wenn du nicht weißt, wie du deine Kinder trösten sollst, weil du überwältigt von dem Neuronenfeuerwerk in deinem Kopf und nicht weißt, wo du Trost und Ruhe finden kannst.. Belastend ist, wenn du merkst, dass sich dein Weg verändert, und zwar genau dadurch, dass du ihn gehst; wenn du nicht erkennen kannst, wohin dich dieser neue Weg letztendlich führen wird, und gleichzeitig sehr reale, kleine und hungrige Menschen von dir und nur von dir abhängen, damit du ihnen Wege zum Gehen ins Leben zeigst.

Diese Belastungen durch existenziellen Druck sind nicht zu unterschätzen. In meinem Fall waren sie alle gegeben. Sie haben mich nicht davon abgehalten, meinen Weg weiterzugehen, aber ich vermute, dass sie mich als Mensch verändert haben. Ich vermute, dass ich Angst zwar durchschreiten konnte; ich sterbe nicht an Angst. Aber wenn wir viele Schritte mit und in Angst gehen müssen, dann verändert sich auf Dauer die Art, wie wir unsere Füße setzen. Angst wurde ein Teil meines Vorwärtsgehens. 

Von Luftgeigen und Singenden Sägen  

Dieses Bild klebte ich als Zehnjährige auf meine Geigenschule. Es fiel niemandem- auch nicht mir selbst- auf, dass sich hier ein Verdrehungsgefühl ausdrückte: verdeckte Linkshändigkeit.

Meine Großmutter liebte Musik, Malerei und jede Art von Schabernack; sie wuchs im Krieg auf und durfte daher nur die Volksschule besuchen. Ihr Leben lang hat sie bedauert, keine künstlerische Ausbildung erhalten zu haben. Manchmal spielte sie selig lächelnd Luftgeige vor unseren Augen- und strich den imaginären Bogen mit links. Wenn sie in der Luft Blockflöte spielte und dazu summte und tutete- dann hielt sie die linke Hand unten, die rechte Hand oben an der imaginären Flöte. Natürlich war meine Großmutter Linkshänderin, und eine stark ausgeprägte obendrein.

In der Kult- Kinderserie Pippi Langstrumpf (im Original von 1969/1971) gibt es die Folge, in der Annika und Tommy mit Pippi von zu Hause ausbrechen und auf Konrad, den Landstreicher treffen. Tommy lernt von Konrad dem Landstreicher, wie man die singende Säge streicht. Und er streicht mit links. Bogen links, Säge rechts, und los geht es. Tommy hat dabei das selige Lächeln im Gesicht, das auch meine Großmutter beim Luftgeigen hatte. Den beseelten Ausdruck finde ich in den Bildern Marc Chagalls wieder, der unter vielem anderen auch linksspielende Musiker in seine bunten Traumbildern malte- ob dies detailgetreue Abbildungen waren oder „erträumte“, wissen wir nicht. Ihre Ausdruckskraft bleibt vom Schönsten, was ich kenne.

Wie aber würde sich diese Ausdruckskraft verändern, wenn man meiner Großmutter, Tommy, Marc Chagall erklären würde: Mach das andersrum! Sonst bist du falsch!

Genau das passiert einem linkshändigen Kind auf nahezu allen Ebenen der klassischen Musik, denn die ist vom ersten Tönchen an streng reglementiert. Kaum verlassen wir das Hoheitsgebiet der Klassik, treffen wir auf viel diversifiziertere, buntere Welten des Instrumentalspiels. Viele Beispiele, und von sehr lebendigen Musiker_innen, sind auf linksgespielt zu finden. Ich nenne hier nur die allergeläufigsten aus der Vergangenheit, die wirklich jeder kennt. In Pop und Rock sind das Jimi Hendrix und Paul McCartney, die linksherum spielten; Ringo Starr hingegen spielte als Linkshänder auf einem rechtshändig aufgebauten Set wie unzählige andere Drummer vor und nach ihm. Der Stummfilmkünstler Charlie Chaplin spielte linkshändig Cello, weil es in der Filmwelt niemanden störte; in volksmusikalischen Gruppierungen aus aller Welt, von Süd- und Nordamerika über die wandernden Völker der Sinti und Roma und bis nach Indien und Afrika tauchen linksspielende Musikerinnen und Musiker an Blas- wie an Streich- und Zupfinstrumenten auf, an Trommeln sowieso. Diese Musikerinnen und Musiker nehmen nur selten den Umweg über die Musikhochschulen und lernen ihre Instrumente vom Herzen in die Hand.

Je weniger Regeln es also gibt, die von vornherein als gesetzt gelten, desto größer ist die Chance, bei der eigenen Lieblingshand bleiben zu dürfen, die man intuitiv sowieso wählen würde. Könnte es doch überall in der Musik so sein! Dein Bogen ist der Atem der Musik, heißt es schon in den alten Quellen. Dürfte doch jeder und jede mit der Hand atmen, die ihm, die ihr entspricht! Wozu sonst spielen wir denn?

Druck (von innen)

Als Druck von innen bezeichne ich die Anteile in dir, die mit Erwartungen zu tun haben. Diese Anteile wollen etwas von dir, und ihre Forderungen sind so laut wie unrealistisch; so begründet wie unerfüllbar. Es gibt eine feine Linie, die Neugier von Erwartung unterscheidet. Neugier macht etwas auf; Neugier lässt dich deine Nase zur Tür hinausstrecken, um die Luft draußen zu schnuppern und zu wittern, wo das nächste Abenteuer auf dich wartet. Erwartung dagegen macht die Tür zu. 

Es ist sehr schwer, als ausgebildeter Musiker keine Erwartungen an dein Klangergebnis zu haben. Es ist sogar unmöglich. Du weißt, wie es geht, du weißt, wie es klingen kann – und dann kommt da etwas völlig anderes heraus, etwas Formloses und dadurch erstmal Ungeliebtes, und du kannst dir noch nicht einmal selber helfen. Ich habe dies für mich gelegentlich mit der Erfahrung verglichen, nach einem erlittenen Schlaganfall bestimmte, früher selbstverständliche Bewegungsabläufe völlig neu lernen und dir dabei auch noch selber zuschauen zu müssen. Ich hoffe, dass dieser Vergleich für Menschen, die wirklich einen Schlaganfall erlitten haben, nicht anmaßend wirkt und bitte um Verzeihung, falls jemand ihn doch so empfindet. 

Wenn du dich zum Umlernen entschieden hast, dann wolltest du eine Verbesserung für dich bewirken. Es sollte schöner, leichter und angenehmer sein, mit links zu streichen, als vorher mit rechts; und schließlich soll es natürlich auch noch besser klingen, denn diese neue Schönheit soll sich ja in Klang ausdrücken, worin sonst?

Wenn du dich zum Umlernen entschieden hast, dann wolltest du eine Verbesserung für dich bewirken. Es sollte schöner, leichter und angenehmer sein, mit links zu streichen, als vorher mit rechts; und schließlich soll es natürlich auch noch besser klingen, denn diese neue Schönheit soll sich ja in Klang ausdrücken, worin sonst?

Möglicherweise ist davon bisher noch nichts eingetroffen. Möglicherweise wartest du schon eine lange Zeit darauf, dass sich das Wohlgefühl der ersten linksgestrichenen Töne nunmehr flächendeckend einstellt. Möglicherweise treffen die Erfahrungen, die du beim Umlernen machst, nicht im Geringsten auf die Erwartungen, die du in Bezug auf diesen Weg hattest.

Das ist der Druck von innen. Die Leerstelle zwischen dem, was du erwartest, und dem, was du erlebst. Es passt nicht zusammen. Da ist ein klaffendes, hässliches Vakuum in der Mitte, das dort nicht eingeplant war, und du denkst zwischenzeitlich, du könntest vielleicht umkehren.

Meine Erfahrung ist: du kannst nicht umkehren, wenn du an dieser Leerstelle einmal angekommen bist. Du stehst an der Klippe deiner Erwartungen und musst diese Klippe verlassen, um das gegenüberliegende Felsmassiv zu erreichen, das Massiv deines neuen Landes. Es ist wie der kleine Krümel Löwenherz in Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“, der seinen schöneren, größeren und tödlich verwundeten Bruder Jonathan auf den Rücken nimmt und ihn und sich nur retten kann, wenn er mit ihm zusammen das Land Nangijala verlässt; Krümel, der kleinere und ängstlichere der beiden Brüder, muss das Land, in dem er sich bewährt hat, verlassen, er muss springen; und er tut es. Das Buch endet so: „Ooh Nangilima! Ja, Jonathan; Ich sehe das Licht!“

Auch meine Erfahrung ist, dass sich Nangijala und Nangilima nicht gleichzeitig bewohnen lassen; das alte und das neue Land. Die Klippe deiner Erwartungen und die gegenüberliegende Ebene deines neuen Landes lassen sich nicht miteinander versöhnen; es bringt nichts zu verhandeln. Du musst springen, und du musst auch noch die Kraft aufbringen, zusätzlich zu dir selbst und deiner Angst deinen verwundeten Bruder zu tragen.

Trau dich! Der Abgrund dazwischen ist möglicherweise nicht so tief, wie du befürchtest. Du wirst es sehen. Und was soll schon passieren: du bist ja dabei! (Zitat mit freundlicher Erlaubnis von Hrn. Meyer, Bremen)

Fremdheit 2

Mit welchem Ohr lauschst du an einer Meerschnecke, die du am Strand gefunden hast, ob du das Rauschen der Tiefsee darin hören kannst? Auch unsere Ohren sind nicht zwei identische Ohren. Eines davon hört früher und lieber bestimmte Frequenzen. Du kennst das vom Hörtest beim Ohrenarzt.

Beim Geigespielen liegt das Instrument am Hals oder Schlüsselbein an, und zwar bei rechtshändiger Spielweise an der linken Körper- und Gesichtshälfte. Dein Ohr hat auf dieser Seite allernächsten, unmittelbaren Kontakt zum Instrument, so wie deine Knochen und Muskeln hier unmittelbarer als am restlichen Körper die Schwingungen des Instruments aufnehmen.

Drehe deine Spielrichtung um, und du hast eine neue Körperhälfte, die diese Art von Kontakt mit dem Klangholz noch nicht kennt; du hast ein neues Ohr, das erst noch das Hören so nah am Instrument lernen muss. 

Du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr dieselbe Musikerin.
Sei darauf vorbereitet, dass dein Klang unerhört sein wird.

Zusätzlich dazu hört dein „neues“ Ohr auch noch einen neuen Klang, den es vorher im Zusammenhang mit dir noch nicht gegeben hat. Denn du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr derselbe Musiker, dieselbe Geigerin wie die, die vorher mit dem rechten Arm gestrichen hat. Du wärest kein Musiker, wenn du nicht wüsstest, dass alle Anteile von dir im Klang hörbar sind, nicht nur Tonhöhe und Dezibel. Sei also darauf vorbereitet, dass dein Klang in mehrfacher Hinsicht unerhört sein wird. Gib dir Zeit, ihn hören- und kennenzulernen.

Es ist wahrscheinlich, dass du zu allem Überfluss an Fremdheit auch noch auf einem neuen, anderen Instrument spielst als vorher. Entweder, du hast ein Instrument, das dir schon gehörte, „auf links“ umbauen lassen oder du hast ein ganz neues, linkshändig eingerichtetes Instrument für dich gefunden. Ein ungewohntes Instrument am ungewohnten Ohr unter ungewohntem Auge, zusätzlich zu allem, was Gehirn und Nervenbahnen gerade in die Waagschale werfen, um es neu zu programmieren- noch Fragen?

Fremdheit 1

Wenn du deine Spielweise umstellst, dann bist du erstmal vor allem eins: dir selber fremd. Und diese Fremdheit ist eine Mehr- Komponenten- Fremdheit. Zwei Aspekte davon:

Fremdheit 1 – Augen

Hast du als Kind gern durch Schlüssellöcher geguckt? Dann mach es nochmal, jetzt gleich. Ich wette, du hast nicht vergessen, wie es geht. Und jetzt: guck mit dem anderen Auge hindurch. Ungewohnt? Ja, es ist ungewohnt. Wenn du wie die meisten Menschen bist, dann hast du ein Schlüsselloch- Auge, mit dem du guckst, und ein anderes, das du dabei zukneifst. Das Schlüsselloch- Auge kannst du auch dein Lieblingsauge nennen.

Beim Geigespielen wurde früh für dich festgelegt, dass dein linkes Auge näher am Instrument ist und über Steg, Saiten und Schnecke hinweg auf die Noten schaut, während das rechte Auge weiter davon entfernt bleibt. Der Unterschied in der Entfernung ist klein, aber er gibt deinem Körper eine Richtung an, eine Blick- Richtung. Änderst du deine Spielweise, kehrt sich deine Blickrichtung um, denn dann liegt das Instrument im anderen Arm. Nun liegt das rechte Auge nah zum Steg, überblickt die Saitenlage und folgt der Schnecke bis zum Notenbild. Es fühlt sich an, wie mit dem anderen Auge durchs Schlüsselloch zu gucken. Probiere es aus.

Fremdheit 2 – Ohren

Mit welchem Ohr lauschst du an einer Meerschnecke, die du am Strand gefunden hast, ob du das Rauschen der Tiefsee darin hören kannst? Auch unsere Ohren sind nicht zwei identische Ohren. Eines davon hört früher und lieber bestimmte Frequenzen. Du kennst das vom Hörtest beim Ohrenarzt.

Beim Geigespielen liegt das Instrument am Hals oder Schlüsselbein an, und zwar bei rechtshändiger Spielweise an der linken Körper- und Gesichtshälfte. Dein Ohr hat auf dieser Seite allernächsten, unmittelbaren Kontakt zum Instrument, so wie deine Knochen und Muskeln hier unmittelbarer als am restlichen Körper die Schwingungen des Instruments aufnehmen.

Drehe deine Spielrichtung um, und du hast eine neue Körperhälfte, die diese Art von Kontakt mit dem Klangholz noch nicht kennt; du hast ein neues Ohr, das erst noch das Hören so nah am Instrument lernen muss. 

Du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr dieselbe Musikerin.
Sei darauf vorbereitet, dass dein Klang unerhört sein wird.

Zusätzlich dazu hört dein „neues“ Ohr auch noch einen neuen Klang, den es vorher im Zusammenhang mit dir noch nicht gegeben hat. Denn du klingst nicht wie vorher; du bist nicht mehr derselbe Musiker, dieselbe Geigerin wie die, die vorher mit dem rechten Arm gestrichen hat. Du wärest kein Musiker, wenn du nicht wüsstest, dass alle Anteile von dir im Klang hörbar sind, nicht nur Tonhöhe und Dezibel. Sei also darauf vorbereitet, dass dein Klang in mehrfacher Hinsicht unerhört sein wird. Gib dir Zeit, ihn hören- und kennenzulernen.

Es ist wahrscheinlich, dass du zu allem Überfluss an Fremdheit auch noch auf einem neuen, anderen Instrument spielst als vorher. Entweder, du hast ein Instrument, das dir schon gehörte, „auf links“ umbauen lassen oder du hast ein ganz neues, linkshändig eingerichtetes Instrument für dich gefunden. Ein ungewohntes Instrument am ungewohnten Ohr unter ungewohntem Auge, zusätzlich zu allem, was Gehirn und Nervenbahnen gerade in die Waagschale werfen, um es neu zu programmieren- noch Fragen?

 

Die lieben Kollegen

Wenn du gerade umlernst und trotzdem da rausgehst, in die professionelle Szene, unter die Kolleginnen und Kollegen, dann bist du verletzlich. Jeder und jede ist das, denn wir alle sind Menschen- aber du bist momentan verletzlich in Extremform. Wahrscheinlich machst du deine Sache gut. Sicherlich aber bist du eine Zielscheibe für jede Menge Überraschung, einige unausgesprochene Fragezeichen, und auch für den einen oder anderen gehässigen Kommentar.

Ich erinnere mich an eine Probe im Hamburger Michel- ich glaube, es war für eine der wunderschönen Krippenandachten zwischen Weihnachten und Dreikönige. Fast alle Kolleginnen waren mir bekannt, wenn auch nicht vertraut. Ich saß unter den ersten Geigen. Mitten in der Probenarbeit drehte sich die Konzertmeisterin zu mir um und fragte mit einem spöttischen Grinsen: „Und? Geht’s denn jetzt besser?“ Ich war auf diese Art spitze Bemerkung nicht vorbereitet. Wäre ich vorbereitet gewesen, dann wäre mir vielleicht eine ebenso spitze Antwort eingefallen, so im Stil von „Danke, nein, geht genau so schlecht wie vorher – und bei dir?“ oder so etwas. Aber ich war es nicht, und so ging mein Puls nach oben und meine Hände erstarrten zu Eis. Sie hatte mich beschämt.

Scham ist ein Gefühl, das nie hilfreich ist; sie hat mit Angst zu tun und auch mit Schuldgefühlen, und sie sitzt wie eine Faust im Magen, verschnürt die Hände und lässt deinen Körper augenblicklich vereisen. Scham kann ohne Schwierigkeiten von jemandem ausgelöst werden, der deine Schwäche kennt, und meine Schwäche war in der Situation offensichtlich. Ich wünschte, Kolleginnen hätten es nicht nötig, untereinander Hiebe zu verteilen. Aber wenn es dir passiert ist und du während der Probe im Erdboden versinken möchtest, dann kläre in einer ruhigen Minute – also später- noch einmal mit dir selbst, ob du stark genug bist, da rauszugehen. Denn worum geht es? Du möchtest deinen Job verlässlich gut machen, genau wie jeder andere im Ensemble. Weil das dein Beruf ist. Du gehst ein größeres Risiko ein als andere in dem Moment. Schätze noch einmal möglichst realistisch ein, ob du in jedem Fall, also auch im Fall missgünstiger Kolleginnen, Kollegen oder – ja- Familienmitglieder, einen sauber abgelieferten Job garantieren kannst.  

Wenn ja, go for it! – und kümmer dich nicht um die Kommentare.

Wenn nein, lass noch ein bißchen Zeit vergehen und mach etwas anderes zwischendurch.

In keinem Fall ist es nötig, dass du dich selbst in Frage stellst. Und: die Kolleginnen gewöhnen sich daran, genau wie du, und bald hast du wieder ein ruhigeres Leben.

Pädagogik 2 oder Mythos Vermeidbarkeit

In vielen Köpfen ist die Vorstellung noch immer lebendig, dass Linkshändigkeit verhindert werden könne.

Hierzu ein Beispiel: Ich hatte über Jahre eine Geigenschülerin, die begabt und zugewandt war und gerne zu mir zum Geigenunterricht kam. In der Schule hatte sie gelegentlich Probleme und sie klagte immer häufiger über Kopfschmerzen. Von zu Hause aus wurde ihr musisches Interesse sorgfältig unterstützt. Einiges in ihrem Spiel und in der speziellen Art ihrer Lernschwierigkeiten bei gleichzeitig großer Musikalität deutete für mich darauf hin, dass sie Linkshänderin sein könnte, und ich sprach ihren Vater nach reiflicher Überlegung darauf an. Seine Antwort war: „Ja, ihre Mutter ist auch Linkshänderin. Aber wir haben rechtzeitig gegengesteuert, und so konnten wir es zum Glück verhindern.“

Umerziehen, 3. Streich

Neben familiärer Prägung gibt es auch ganz pragmatische Gründe, warum Kleinkinder bereits lange vor dem Schuleintritt umgeschult werden. Ich habe das bei meinem Sohn miterlebt, der schon im Alter von wenigen Monaten eine klare Linkshändigkeit zeigte und nach kurzer Zeit in der Krippengruppe auf dem besten Wege war, umgeschult zu werden. Auch hier war kein böser Wille seiner beiden Erzieherinnen im Spiel, aber: Bei den ersten Mal-, Kleb-, Knet- und Schwungaktivitäten gibt praktisch jeder Mensch, der nicht selber linkshändig ist und das auch weiß (!), also gut 90% der Menschen (zu den Zahlen vergleiche Umerziehen, 2. Streich), dem Kind Wachsmaler, Kreide und Spielgerät in die rechte Hand. Hat das Kind da anfangs noch ein Wackeln in der Annahme, verzichtet es meistens recht bald auf den Zusatzaufwand des In-die-eigene-andere-Hand-Rübergebens.

Anfangs hat das Kind noch ein Wackeln in der Annahme…..bald nicht mehr.

Denn was vom Erwachsenen kommt und wie es kommt, ist richtig und das möchte es lernen. Bleibt das Kind trotz des ständig wiederholten Anbietens in die rechte Hand bei seiner Linken und akzeptiert den Mehraufwand, sich das Gerät selbst noch einmal neu zurechtlegen zu müssen, dann besitzt das Kind entweder einen bewundernswürdigen Trotz, oder es trägt ein sehr gesundes Selbstwertgefühl in sich, oder es neigt in Anteilen zum autistischen Spektrum. Es muss nämlich ein MEHR an Kraft aufbringen im Vergleich zum wirklich rechtshändigen Kind, welches das Gerät aus der anbietenden Hand direkt annimmt und gleich loslegt. Dieses MEHR an Kraftaufwand braucht das Kind auch später unaufhörlich, wenn es entgegen seiner genetisch festgelegten Händigkeit schreibt, malt, musiziert. Der Mehraufwand für das Umlenken der Aktivität von der prädestinierten Hirnhälfte zur nachgeordneten Hirnhälfte – allein auf Grund des Gebrauchs der ungünstigeren Hand – wird im Buch Der Knoten im Gehirn oder Der umgeschulte Linkshänder von Johanna Barbara Sattler mit etwa 35% der Hirnaktivität beziffert. Das heißt, ein linkshändiges Kind, das rechtshändig schreiben, malen, musizieren muss, benötigt dauerhaft ein Drittel mehr Gehirnkraft als ein rechtshändiges Kind, um den Umweg zu bewältigen.

Kinder reagieren mit Überforderungsgefühlen, mit scheinbar unerklärlicher Wut, mit Kopfschmerzen und Sehschwäche und natürlich mit inneren Schwankungen auf diese Anstrengung. Die Schwankungen zeigen sich unter anderem in ihrer schulischen Motivation und Leistung, in ihren Stimmungen, in ihrem Gefühl für sich selbst, in ihrem Antrieb dem Leben gegenüber. Umgeschulte linkshändige Kinder können häufig nur ein schwaches, sozusagen verzerrtes Selbstbewusstsein entwickeln und zeigen in Schule und (später) Beruf weniger oder anderes als das, was in ihnen steckt.  

Der Mythos vom Platzbedarf

Momentaufnahme aus der Geigenbaumeisterwerkstatt Frank Frobeen, Hamburg

Immer wieder höre ich, dass Linksspielen im Orchester unpraktisch wäre, weil man mehr Platz bräuchte. Das kann ich nicht bestätigen. Ein Bogen, der mit links gestrichen wird, braucht nicht mehr Platz als ein mit rechts gestrichener Bogen. Die Bögen kommen auch nicht miteinander ins Gehege, weil jeder Spieler sowieso seinen eigenen Kreis um sich herum hat: auch wenn beide Pultnachbarn symmetrisch streichen, hat jeder seine eigene Zone, seinen Bereich, der vom Bogen des anderen nicht überschritten wird.  

Es gibt luxuriöse Vorteile, die ich genieße, wenn ich das Pult mit einer rechtshändigen Kollegin oder Kollegen teile. Zum Beispiel können wir wählen, ob die Bögen in der Mitte zueinander streichen (dann sitze ich rechts am Pult), oder ob sich die Instrumente in der Mitte Rücken an Rücken treffen sollen (dann säße ich links am Pult). Beides hat Vorteile. Manchen Kolleginnen ist das eine, anderen das andere angenehmer. Die Wahl zu haben, macht Spaß. Wenn die Bögen in der Mitte zueinander spielen, höre ich mehr von meiner Nachbarin als bei der konventionellen Sitz- und Spielweise, weil die Instrumente und auch wir Spielerinnen einander zugewandt sind. So zugewandt zu spielen, ist schön.

Manchmal höre ich die Sorge, dass linksspielende Musiker die übrigen im Orchester verwirren würden. Auch das kann ich nicht pauschal bestätigen. Ein Beispiel: während einer Matthäuspassion saß eine mir bekannte Oboistin den ganzen Probentag lang mir gegenüber, im anderen Chorus, wir hatten Blickkontakt. Nach der Probe, als sie mithörte, dass Kollegen mich auf das Linksspielen ansprachen, sinnierte sie: „Ach, das war es…. Ich dachte schon, irgendetwas ist anders…. hat sie eine neue Frisur, eine neue Brille? Also dann hast du also andersrum gespielt!“ Das war ein sehr lustiger Abend und eine große Freude für mich. Nebenbei belegt die Szene nochmal, dass das menschliche Gehirn Spiegelsymmetrie sehr gerne annimmt und meist nicht als störend empfindet.

Sollte sie aber jemand als störend empfinden, dann hilft es, miteinander zu reden. Ein Geiger erzählte neulich, dass es ihn verwirre, am Pult hinter mir zu sitzen, nicht aber mir gegenüber. Eine Lösung, mit der sich jeder wohlfühlt, ist dann meistens schnell gefunden.

Ich genieße noch einen zusätzlichen Vorteil: als umgeschulte Linkshänderin, die sowohl mit rechts als auch mit links ziemlich gut schreiben kann, kann ich auswählen, ob ich die Eintragungen in meinen Noten mit links oder mit rechts machen möchte. Ob es mir also gerade besser passt, die Bratsche oder den Bogen abzusetzen. Das ist zugegeben eine Kleinigkeit, aber: die Wahl zu haben, macht Spaß!