Wie das Linksspielen begann

Mit Ende 20 entdeckte ich durch Zufall meine Linkshändigkeit, und eine Forschungsreise begann. Kneten wie im Kindergarten, Schwungübungen mit Wachsmalstiften, Tuschen und Zeichnen, schließlich Schreiben mit der linken Hand- alles war neu und aufregend schön. Besonders das Schreiben mit links setzte Informationen frei, die mir bisher über mich selbst verborgen gewesen waren. Ich wurde zwar kein neuer Mensch, aber ich merkte doch, dass der Mensch, der ich war, von innen her eine andere Form annahm, eine deutliche Gestalt.

Nach einiger Zeit probierte ich natürlich auch aus, mit links Geige zu spielen- das war im Jahr 2009. Und siehe da- das Empfinden im Bogenarm war ein anderes als mit rechts. Nach diesem grundigen, satten Bogenstrich, der tief in der Saite liegt und nicht nur über sie hinwegzieht, hatte ich immer gesucht. Fasziniert übte ich weiter. Zunächst waren nur 2 -3 Minuten am Tag möglich, denn im Gehirn startete jedes Mal ein Funkenflug und Schneegestöber, mit denen Vorsicht geboten war. Bald konnte ich die Dauer langsam erhöhen und mit dem Aufsetzen der rechten Hand beginnen.

Dann, es war ungefähr 2010, arbeitete ich mit befreundeten Musikerinnen, besonders aber mit Hilfe der Dispokinese, einer speziellen Körperarbeit für Musiker, das Streichen auf beiden Seiten nochmals auf. Denn jeder weiß: einen neuen Bewegungsablauf, eine neue Fertigkeit gleich welcher Art zu lernen, ist immer schön und beflügelnd. Und ich wollte verhindern, dass ich mich von dem spontan sehr guten Gefühl des Linksstreichens und von den ersten Erfolgen zu vorschnellen Entscheidungen treiben ließ. Im Laufe der Arbeitseinheiten mit den erfahrenen Dispokinetikerinnen Anna Kuwertz (Freiburg) und Corinna Hildebrand (Bremen), Letztere meine Kollegin und Freundin, bestätigte sich, was ich bereits geahnt hatte: dass es da etwas gab, ein letztes Quentchen von Ton- und Körperqualität, das ich mit links schon besaß und mit rechts auch nach 20 Jahren Spielpraxis nicht erreicht hatte.

Und so entschied ich mich, umzulernen. Quasi ohne Übergang erschien ich bei der nächsten Mugge (einer einfach besetzten Bachkantate in Lilienthal bei Bremen, 2011) mit dem Instrument in der anderen Hand. Schnell war ich im Stande, die gewohnte Literatur in den gewohnten Ensembles, jetzt eben anders herum, zu spielen. Doch der Umlernprozess forderte enorme Anstrengungen, die größtenteils nur für mich selber wahrnehmbar waren. Was folgte, war eine lange, eine sehr lange Durststrecke.

Und so lange hat es gedauert, bis ich eine Tonleiter nicht nur korrekt pitchen, sondern wieder so wie ich wollte intonieren, also einfärben konnte: 2-3 Jahre. Bis ich die barocken Springbögen nicht nur abheben, sondern auch ganz sicher wieder auf die Saite zurückführen konnte: 3-4 Jahre. Bis ich in einem Orchester wieder ohne Angst den Stimmton von der Konzertmeisterin abnehmen konnte, und ich meine die Angst, die befürchtet, dass die rechte Hand den Wirbel nicht richtig im Griff haben könnte: 5-6 Jahre.

Mir ist vieles passiert, was ich meinem schlimmsten Feind nicht wünsche: In Händels Messias ist mir in einer Generalpause der Bogen auf die Saite gefallen, weil ich eben doch noch nicht wieder die volle Kontrolle hatte. Und ja, Wirbel sind abgestürzt, weil die rechte Hand das Stimmen erst lernen musste. Wirbel stürzen auch so manchmal ab, aber die Angst, den Vorgang nicht unter Kontrolle zu bekommen, erschien während des Umlernens vergrößert wie durch ein riesiges Brennglas.

Und immer wieder habe ich geprüft, ob dieser Weg die Mühen wert war: so habe ich einmal eine Saison lang (das war 2012) wieder rechtsherum gespielt, eine ganze Serie von Projekten, denn ich wollte sehen, ob ich es nicht trotz aller Erkenntnisse bei dieser einfacheren Wahl belassen und meinen musikalischen Weg trotzdem weiter zufrieden gehen könnte. Das Ergebnis war: ich verabschiedete mich endgültig vom rechtshändigen Spiel und ließ alle meine Instrumente umbauen bzw. verkaufen, und diese Entscheidung ist gültig bis heute.

Schon an anderer Stelle habe ich geschrieben: ich wünsche niemandem, diesen Weg gehen zu müssen. Ich aber wollte ihn gehen, und: ja, ich würde es wieder tun!

Druck (von außen)

Wenn du dich bereits mit händigkeitsgerechtem Musizieren und möglichem Um- und Rückschulen beschäftigt hast, dann ist dir wahrscheinlich der Satz begegnet, dass Druck dem Prozess nicht förderlich ist. Dies möchte ich unterstreichen:

Druck ist dem Prozess nicht förderlich.

Ich rede nicht von der Wohltat, die gewisse Verbindlichkeiten mit sich bringen: es ist gut, einen Konzerttermin zu haben, bis zu dem ein Programm stehen muss; eine Uhrzeit für Probenanfang und -ende, die nicht du selbst dir setzt, sondern die einfach auf deinem Zettel stehen und für die du gebucht bist und Punkt. Diese Rahmenbedingungen tun gut und entlasten.

Be-lastend dagegen ist es, wenn du während deines Umlernens ernsthaften Existenzängsten ausgesetzt bist; wenn du nicht weißt, wie du die Miete und das Essen bezahlen sollst, weil du weniger Pensum bewältigst als früher und dadurch weniger Einkommen hast; belastend ist, wenn du nicht weißt, wie du deine Kinder trösten sollst, weil du überwältigt von dem Neuronenfeuerwerk in deinem Kopf und nicht weißt, wo du Trost und Ruhe finden kannst.. Belastend ist, wenn du merkst, dass sich dein Weg verändert, und zwar genau dadurch, dass du ihn gehst; wenn du nicht erkennen kannst, wohin dich dieser neue Weg letztendlich führen wird, und gleichzeitig sehr reale, kleine und hungrige Menschen von dir und nur von dir abhängen, damit du ihnen Wege zum Gehen ins Leben zeigst.

Diese Belastungen durch existenziellen Druck sind nicht zu unterschätzen. In meinem Fall waren sie alle gegeben. Sie haben mich nicht davon abgehalten, meinen Weg weiterzugehen, aber ich vermute, dass sie mich als Mensch verändert haben. Ich vermute, dass ich Angst zwar durchschreiten konnte; ich sterbe nicht an Angst. Aber wenn wir viele Schritte mit und in Angst gehen müssen, dann verändert sich auf Dauer die Art, wie wir unsere Füße setzen. Angst wurde ein Teil meines Vorwärtsgehens. 

Von Luftgeigen und Singenden Sägen  

Dieses Bild klebte ich als Zehnjährige auf meine Geigenschule. Es fiel niemandem- auch nicht mir selbst- auf, dass sich hier ein Verdrehungsgefühl ausdrückte: verdeckte Linkshändigkeit.

Meine Großmutter liebte Musik, Malerei und jede Art von Schabernack; sie wuchs im Krieg auf und durfte daher nur die Volksschule besuchen. Ihr Leben lang hat sie bedauert, keine künstlerische Ausbildung erhalten zu haben. Manchmal spielte sie selig lächelnd Luftgeige vor unseren Augen- und strich den imaginären Bogen mit links. Wenn sie in der Luft Blockflöte spielte und dazu summte und tutete- dann hielt sie die linke Hand unten, die rechte Hand oben an der imaginären Flöte. Natürlich war meine Großmutter Linkshänderin, und eine stark ausgeprägte obendrein.

In der Kult- Kinderserie Pippi Langstrumpf (im Original von 1969/1971) gibt es die Folge, in der Annika und Tommy mit Pippi von zu Hause ausbrechen und auf Konrad, den Landstreicher treffen. Tommy lernt von Konrad dem Landstreicher, wie man die singende Säge streicht. Und er streicht mit links. Bogen links, Säge rechts, und los geht es. Tommy hat dabei das selige Lächeln im Gesicht, das auch meine Großmutter beim Luftgeigen hatte. Den beseelten Ausdruck finde ich in den Bildern Marc Chagalls wieder, der unter vielem anderen auch linksspielende Musiker in seine bunten Traumbildern malte- ob dies detailgetreue Abbildungen waren oder „erträumte“, wissen wir nicht. Ihre Ausdruckskraft bleibt vom Schönsten, was ich kenne.

Wie aber würde sich diese Ausdruckskraft verändern, wenn man meiner Großmutter, Tommy, Marc Chagall erklären würde: Mach das andersrum! Sonst bist du falsch!

Genau das passiert einem linkshändigen Kind auf nahezu allen Ebenen der klassischen Musik, denn die ist vom ersten Tönchen an streng reglementiert. Kaum verlassen wir das Hoheitsgebiet der Klassik, treffen wir auf viel diversifiziertere, buntere Welten des Instrumentalspiels. Viele Beispiele, und von sehr lebendigen Musiker_innen, sind auf linksgespielt zu finden. Ich nenne hier nur die allergeläufigsten aus der Vergangenheit, die wirklich jeder kennt. In Pop und Rock sind das Jimi Hendrix und Paul McCartney, die linksherum spielten; Ringo Starr hingegen spielte als Linkshänder auf einem rechtshändig aufgebauten Set wie unzählige andere Drummer vor und nach ihm. Der Stummfilmkünstler Charlie Chaplin spielte linkshändig Cello, weil es in der Filmwelt niemanden störte; in volksmusikalischen Gruppierungen aus aller Welt, von Süd- und Nordamerika über die wandernden Völker der Sinti und Roma und bis nach Indien und Afrika tauchen linksspielende Musikerinnen und Musiker an Blas- wie an Streich- und Zupfinstrumenten auf, an Trommeln sowieso. Diese Musikerinnen und Musiker nehmen nur selten den Umweg über die Musikhochschulen und lernen ihre Instrumente vom Herzen in die Hand.

Je weniger Regeln es also gibt, die von vornherein als gesetzt gelten, desto größer ist die Chance, bei der eigenen Lieblingshand bleiben zu dürfen, die man intuitiv sowieso wählen würde. Könnte es doch überall in der Musik so sein! Dein Bogen ist der Atem der Musik, heißt es schon in den alten Quellen. Dürfte doch jeder und jede mit der Hand atmen, die ihm, die ihr entspricht! Wozu sonst spielen wir denn?

Druck (von innen)

Als Druck von innen bezeichne ich die Anteile in dir, die mit Erwartungen zu tun haben. Diese Anteile wollen etwas von dir, und ihre Forderungen sind so laut wie unrealistisch; so begründet wie unerfüllbar. Es gibt eine feine Linie, die Neugier von Erwartung unterscheidet. Neugier macht etwas auf; Neugier lässt dich deine Nase zur Tür hinausstrecken, um die Luft draußen zu schnuppern und zu wittern, wo das nächste Abenteuer auf dich wartet. Erwartung dagegen macht die Tür zu. 

Es ist sehr schwer, als ausgebildeter Musiker keine Erwartungen an dein Klangergebnis zu haben. Es ist sogar unmöglich. Du weißt, wie es geht, du weißt, wie es klingen kann – und dann kommt da etwas völlig anderes heraus, etwas Formloses und dadurch erstmal Ungeliebtes, und du kannst dir noch nicht einmal selber helfen. Ich habe dies für mich gelegentlich mit der Erfahrung verglichen, nach einem erlittenen Schlaganfall bestimmte, früher selbstverständliche Bewegungsabläufe völlig neu lernen und dir dabei auch noch selber zuschauen zu müssen. Ich hoffe, dass dieser Vergleich für Menschen, die wirklich einen Schlaganfall erlitten haben, nicht anmaßend wirkt und bitte um Verzeihung, falls jemand ihn doch so empfindet. 

Wenn du dich zum Umlernen entschieden hast, dann wolltest du eine Verbesserung für dich bewirken. Es sollte schöner, leichter und angenehmer sein, mit links zu streichen, als vorher mit rechts; und schließlich soll es natürlich auch noch besser klingen, denn diese neue Schönheit soll sich ja in Klang ausdrücken, worin sonst?

Wenn du dich zum Umlernen entschieden hast, dann wolltest du eine Verbesserung für dich bewirken. Es sollte schöner, leichter und angenehmer sein, mit links zu streichen, als vorher mit rechts; und schließlich soll es natürlich auch noch besser klingen, denn diese neue Schönheit soll sich ja in Klang ausdrücken, worin sonst?

Möglicherweise ist davon bisher noch nichts eingetroffen. Möglicherweise wartest du schon eine lange Zeit darauf, dass sich das Wohlgefühl der ersten linksgestrichenen Töne nunmehr flächendeckend einstellt. Möglicherweise treffen die Erfahrungen, die du beim Umlernen machst, nicht im Geringsten auf die Erwartungen, die du in Bezug auf diesen Weg hattest.

Das ist der Druck von innen. Die Leerstelle zwischen dem, was du erwartest, und dem, was du erlebst. Es passt nicht zusammen. Da ist ein klaffendes, hässliches Vakuum in der Mitte, das dort nicht eingeplant war, und du denkst zwischenzeitlich, du könntest vielleicht umkehren.

Meine Erfahrung ist: du kannst nicht umkehren, wenn du an dieser Leerstelle einmal angekommen bist. Du stehst an der Klippe deiner Erwartungen und musst diese Klippe verlassen, um das gegenüberliegende Felsmassiv zu erreichen, das Massiv deines neuen Landes. Es ist wie der kleine Krümel Löwenherz in Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“, der seinen schöneren, größeren und tödlich verwundeten Bruder Jonathan auf den Rücken nimmt und ihn und sich nur retten kann, wenn er mit ihm zusammen das Land Nangijala verlässt; Krümel, der kleinere und ängstlichere der beiden Brüder, muss das Land, in dem er sich bewährt hat, verlassen, er muss springen; und er tut es. Das Buch endet so: „Ooh Nangilima! Ja, Jonathan; Ich sehe das Licht!“

Auch meine Erfahrung ist, dass sich Nangijala und Nangilima nicht gleichzeitig bewohnen lassen; das alte und das neue Land. Die Klippe deiner Erwartungen und die gegenüberliegende Ebene deines neuen Landes lassen sich nicht miteinander versöhnen; es bringt nichts zu verhandeln. Du musst springen, und du musst auch noch die Kraft aufbringen, zusätzlich zu dir selbst und deiner Angst deinen verwundeten Bruder zu tragen.

Trau dich! Der Abgrund dazwischen ist möglicherweise nicht so tief, wie du befürchtest. Du wirst es sehen. Und was soll schon passieren: du bist ja dabei! (Zitat mit freundlicher Erlaubnis von Hrn. Meyer, Bremen)

Die lieben Kollegen

Wenn du gerade umlernst und trotzdem da rausgehst, in die professionelle Szene, unter die Kolleginnen und Kollegen, dann bist du verletzlich. Jeder und jede ist das, denn wir alle sind Menschen- aber du bist momentan verletzlich in Extremform. Wahrscheinlich machst du deine Sache gut. Sicherlich aber bist du eine Zielscheibe für jede Menge Überraschung, einige unausgesprochene Fragezeichen, und auch für den einen oder anderen gehässigen Kommentar.

Ich erinnere mich an eine Probe im Hamburger Michel- ich glaube, es war für eine der wunderschönen Krippenandachten zwischen Weihnachten und Dreikönige. Fast alle Kolleginnen waren mir bekannt, wenn auch nicht vertraut. Ich saß unter den ersten Geigen. Mitten in der Probenarbeit drehte sich die Konzertmeisterin zu mir um und fragte mit einem spöttischen Grinsen: „Und? Geht’s denn jetzt besser?“ Ich war auf diese Art spitze Bemerkung nicht vorbereitet. Wäre ich vorbereitet gewesen, dann wäre mir vielleicht eine ebenso spitze Antwort eingefallen, so im Stil von „Danke, nein, geht genau so schlecht wie vorher – und bei dir?“ oder so etwas. Aber ich war es nicht, und so ging mein Puls nach oben und meine Hände erstarrten zu Eis. Sie hatte mich beschämt.

Scham ist ein Gefühl, das nie hilfreich ist; sie hat mit Angst zu tun und auch mit Schuldgefühlen, und sie sitzt wie eine Faust im Magen, verschnürt die Hände und lässt deinen Körper augenblicklich vereisen. Scham kann ohne Schwierigkeiten von jemandem ausgelöst werden, der deine Schwäche kennt, und meine Schwäche war in der Situation offensichtlich. Ich wünschte, Kolleginnen hätten es nicht nötig, untereinander Hiebe zu verteilen. Aber wenn es dir passiert ist und du während der Probe im Erdboden versinken möchtest, dann kläre in einer ruhigen Minute – also später- noch einmal mit dir selbst, ob du stark genug bist, da rauszugehen. Denn worum geht es? Du möchtest deinen Job verlässlich gut machen, genau wie jeder andere im Ensemble. Weil das dein Beruf ist. Du gehst ein größeres Risiko ein als andere in dem Moment. Schätze noch einmal möglichst realistisch ein, ob du in jedem Fall, also auch im Fall missgünstiger Kolleginnen, Kollegen oder – ja- Familienmitglieder, einen sauber abgelieferten Job garantieren kannst.  

Wenn ja, go for it! – und kümmer dich nicht um die Kommentare.

Wenn nein, lass noch ein bißchen Zeit vergehen und mach etwas anderes zwischendurch.

In keinem Fall ist es nötig, dass du dich selbst in Frage stellst. Und: die Kolleginnen gewöhnen sich daran, genau wie du, und bald hast du wieder ein ruhigeres Leben.

Pädagogik 2 oder Mythos Vermeidbarkeit

In vielen Köpfen ist die Vorstellung noch immer lebendig, dass Linkshändigkeit verhindert werden könne.

Hierzu ein Beispiel: Ich hatte über Jahre eine Geigenschülerin, die begabt und zugewandt war und gerne zu mir zum Geigenunterricht kam. In der Schule hatte sie gelegentlich Probleme und sie klagte immer häufiger über Kopfschmerzen. Von zu Hause aus wurde ihr musisches Interesse sorgfältig unterstützt. Einiges in ihrem Spiel und in der speziellen Art ihrer Lernschwierigkeiten bei gleichzeitig großer Musikalität deutete für mich darauf hin, dass sie Linkshänderin sein könnte, und ich sprach ihren Vater nach reiflicher Überlegung darauf an. Seine Antwort war: „Ja, ihre Mutter ist auch Linkshänderin. Aber wir haben rechtzeitig gegengesteuert, und so konnten wir es zum Glück verhindern.“

Der Mythos vom Platzbedarf

Momentaufnahme aus der Geigenbaumeisterwerkstatt Frank Frobeen, Hamburg

Immer wieder höre ich, dass Linksspielen im Orchester unpraktisch wäre, weil man mehr Platz bräuchte. Das kann ich nicht bestätigen. Ein Bogen, der mit links gestrichen wird, braucht nicht mehr Platz als ein mit rechts gestrichener Bogen. Die Bögen kommen auch nicht miteinander ins Gehege, weil jeder Spieler sowieso seinen eigenen Kreis um sich herum hat: auch wenn beide Pultnachbarn symmetrisch streichen, hat jeder seine eigene Zone, seinen Bereich, der vom Bogen des anderen nicht überschritten wird.  

Es gibt luxuriöse Vorteile, die ich genieße, wenn ich das Pult mit einer rechtshändigen Kollegin oder Kollegen teile. Zum Beispiel können wir wählen, ob die Bögen in der Mitte zueinander streichen (dann sitze ich rechts am Pult), oder ob sich die Instrumente in der Mitte Rücken an Rücken treffen sollen (dann säße ich links am Pult). Beides hat Vorteile. Manchen Kolleginnen ist das eine, anderen das andere angenehmer. Die Wahl zu haben, macht Spaß. Wenn die Bögen in der Mitte zueinander spielen, höre ich mehr von meiner Nachbarin als bei der konventionellen Sitz- und Spielweise, weil die Instrumente und auch wir Spielerinnen einander zugewandt sind. So zugewandt zu spielen, ist schön.

Manchmal höre ich die Sorge, dass linksspielende Musiker die übrigen im Orchester verwirren würden. Auch das kann ich nicht pauschal bestätigen. Ein Beispiel: während einer Matthäuspassion saß eine mir bekannte Oboistin den ganzen Probentag lang mir gegenüber, im anderen Chorus, wir hatten Blickkontakt. Nach der Probe, als sie mithörte, dass Kollegen mich auf das Linksspielen ansprachen, sinnierte sie: „Ach, das war es…. Ich dachte schon, irgendetwas ist anders…. hat sie eine neue Frisur, eine neue Brille? Also dann hast du also andersrum gespielt!“ Das war ein sehr lustiger Abend und eine große Freude für mich. Nebenbei belegt die Szene nochmal, dass das menschliche Gehirn Spiegelsymmetrie sehr gerne annimmt und meist nicht als störend empfindet.

Sollte sie aber jemand als störend empfinden, dann hilft es, miteinander zu reden. Ein Geiger erzählte neulich, dass es ihn verwirre, am Pult hinter mir zu sitzen, nicht aber mir gegenüber. Eine Lösung, mit der sich jeder wohlfühlt, ist dann meistens schnell gefunden.

Ich genieße noch einen zusätzlichen Vorteil: als umgeschulte Linkshänderin, die sowohl mit rechts als auch mit links ziemlich gut schreiben kann, kann ich auswählen, ob ich die Eintragungen in meinen Noten mit links oder mit rechts machen möchte. Ob es mir also gerade besser passt, die Bratsche oder den Bogen abzusetzen. Das ist zugegeben eine Kleinigkeit, aber: die Wahl zu haben, macht Spaß!

Das Netzwerk linksgespielt, oder: Gemeinsam geht alles besser.

Momentaufnahme vom Linkshändertag 2023 in Frankfurt, Foto: Alexander Englert

Vergangene Woche haben die Kolleginnen und Kollegen vom Netzwerk linksgespielt zum dritten Mal seit seiner Gründung den Internationalen Linkshändertag in Frankfurt gefeiert. Dazu haben die beiden Initiatorinnen Christine Vogel und Sophia Klinke mit all den vielen weiteren Musiker*innen, die sich mit der Zeit um sie versammelt haben, wieder ein bewundernswertes Programm auf die Beine gestellt. Es gab ein Konzert, mehrere Workshops und vielfältige Informationsmöglichkeiten für Besucherinnen und Besucher, hervorragende Pressearbeit- und im Herzen des Ganzen lebt der Austausch über das Thema linkshändiges Musizieren, das immer mehr Menschen bewegt. Dieser Austausch ist unschätzbar wertvoll.

Vor etwas 15 Jahren kannte ich kaum Gleichgesinnte und begab mich alleine auf den abenteuerlichen Weg des Umlernens. Heute ist es für mich sehr schön zu erleben, dass wir Linksspielende VIELE sind; einige sind zu unermüdlichen Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet geworden. Sie informieren in Schulen und auf Tagungen, organisieren Workshops und Konzerte, veröffentlichen umfassende Beiträge in Fachmedien und knüpfen Kontakte zu Hersteller- und Vertriebsfirmen von Instrumenten, was sehr wichtig ist. Und so wächst die Nachfrage nach händigkeitssensiblem Musizieren stetig. Das ist hervorragend. Gerade an Musikschulen und in JeKi- Kreisen ist es noch ein langer Weg, bis Linkshänderinstrumente für Kinder und Lehrende eine selbstverständliche Option werden. Kein Kind sollte mehr zum Musizieren auf seine Lieblingshand verzichten müssen. Dazu ist Musizieren viel zu essenziell.

Das Netzwerk Linksgespielt hat sich mittlerweile die Form eines Vereins gegeben, dessen Vorstand Christine Vogel, Sophia Klinke, Silke Becker und Laila Kirchner bilden. Der Verein gibt einen Newsletter heraus und ist Forum, Anlaufstelle und Informationsbörse in einem. Viele Musikerinnen und Musiker stellen dort ihre Geschichte(n) zur Verfügung.

Schau also unbedingt rein!

Pädagogik 1 oder eine späte Entschuldigung

Als junge Geigenlehrerin an der Akademie Hamburg für Musik und Kultur stellte sich mir eine neue Schülerin in Begleitung ihrer Mutter vor. Ein aufgewecktes und begabtes Mädchen, das sich zudem als fleißig herausstellte. Die Mutter informierte mich gleich zu Beginn der ersten Stunde, dass ihre Tochter Linkshänderin sei und fragte, ob das einen Unterschied fürs Geigespielen mache. Damals wusste ich noch nichts von meiner eigenen Linkshändigkeit und hatte nie über händigkeitsgerechtes Musizieren nachgedacht oder davon gehört (Liebe Musikhochschulen deutscher Zunge: wir sollten reden!). Ich erklärte unbekümmert, nein, das habe keinerlei Auswirkungen auf das Spielen, wir könnten direkt anfangen. 

Später habe ich oft an dieses Mädchen gedacht, das eine gute Spielerin war und die ich bis zu meiner eigenen Mutterschaft und dadurch bedingten Pause unterrichten durfte. Und ich denke daran, wie ahnungslos und letztlich unverantwortlich ich war.

Liebe Zeynep, falls Du das hier liest: Es tut mir leid. Wenn ich es gewusst hatte, hätte ich dir die schönste kleine Linkshändergeige von allen besorgt. 

Doppelt real (zweispurig fahren)

Mittlerweile hat es sich gelegt, aber vor ein paar Jahren noch habe ich manchmal auf beiden Seiten gleichzeitig Geige gespielt. Nicht in echt natürlich- aber im Kopf. Mein linker Arm führte den Bogen über die Geige, die der rechte hielt. Vor meinem inneren Auge aber sah ich meinen rechten Arm das Gleiche in die entgegengesetzte Richtung tun und fühlte die Nervenbahnen beiderseits die Bewegungen ausführen.

Schreibst du ab und zu beidhändig in Spiegelschrift, ein Stift rechts, ein Stift links und angefangen in der Blattmitte? Dann weißt du, was ich meine.

Die Empfindung hatte ich besonders dann, wenn ich im Ensemble spielte, also von rechtsspielenden Kolleginnen umgeben war, deren Bewegungen ich gleichzeitig zu meinen wahrnahm. Spielte ich alleine zu Hause, stellte sich das Phänomen nicht ein. Eine Neurologin wird recht einfach erklären können, was hierbei abläuft. Mir persönlich reicht es, es erlebt zu haben. Auch in Träumen kann es auftreten. Und da ist es schönerweise keine Hürde, mit rechts und mit links, mit den Füßen und dem ganzen Körper gleichzeitig zu musizieren!