Druck (von innen)

Als Druck von innen bezeichne ich die Anteile in dir, die mit Erwartungen zu tun haben. Diese Anteile wollen etwas von dir, und ihre Forderungen sind so laut wie unrealistisch; so begründet wie unerfüllbar. Es gibt eine feine Linie, die Neugier von Erwartung unterscheidet. Neugier macht etwas auf; Neugier lässt dich deine Nase zur Tür hinausstrecken, um die Luft draußen zu schnuppern und zu wittern, wo das nächste Abenteuer auf dich wartet. Erwartung dagegen macht die Tür zu. 

Es ist sehr schwer, als ausgebildeter Musiker keine Erwartungen an dein Klangergebnis zu haben. Es ist sogar unmöglich. Du weißt, wie es geht, du weißt, wie es klingen kann – und dann kommt da etwas völlig anderes heraus, etwas Formloses und dadurch erstmal Ungeliebtes, und du kannst dir noch nicht einmal selber helfen. Ich habe dies für mich gelegentlich mit der Erfahrung verglichen, nach einem erlittenen Schlaganfall bestimmte, früher selbstverständliche Bewegungsabläufe völlig neu lernen und dir dabei auch noch selber zuschauen zu müssen. Ich hoffe, dass dieser Vergleich für Menschen, die wirklich einen Schlaganfall erlitten haben, nicht anmaßend wirkt und bitte um Verzeihung, falls jemand ihn doch so empfindet. 

Wenn du dich zum Umlernen entschieden hast, dann wolltest du eine Verbesserung für dich bewirken. Es sollte schöner, leichter und angenehmer sein, mit links zu streichen, als vorher mit rechts; und schließlich soll es natürlich auch noch besser klingen, denn diese neue Schönheit soll sich ja in Klang ausdrücken, worin sonst?

Wenn du dich zum Umlernen entschieden hast, dann wolltest du eine Verbesserung für dich bewirken. Es sollte schöner, leichter und angenehmer sein, mit links zu streichen, als vorher mit rechts; und schließlich soll es natürlich auch noch besser klingen, denn diese neue Schönheit soll sich ja in Klang ausdrücken, worin sonst?

Möglicherweise ist davon bisher noch nichts eingetroffen. Möglicherweise wartest du schon eine lange Zeit darauf, dass sich das Wohlgefühl der ersten linksgestrichenen Töne nunmehr flächendeckend einstellt. Möglicherweise treffen die Erfahrungen, die du beim Umlernen machst, nicht im Geringsten auf die Erwartungen, die du in Bezug auf diesen Weg hattest.

Das ist der Druck von innen. Die Leerstelle zwischen dem, was du erwartest, und dem, was du erlebst. Es passt nicht zusammen. Da ist ein klaffendes, hässliches Vakuum in der Mitte, das dort nicht eingeplant war, und du denkst zwischenzeitlich, du könntest vielleicht umkehren.

Meine Erfahrung ist: du kannst nicht umkehren, wenn du an dieser Leerstelle einmal angekommen bist. Du stehst an der Klippe deiner Erwartungen und musst diese Klippe verlassen, um das gegenüberliegende Felsmassiv zu erreichen, das Massiv deines neuen Landes. Es ist wie der kleine Krümel Löwenherz in Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“, der seinen schöneren, größeren und tödlich verwundeten Bruder Jonathan auf den Rücken nimmt und ihn und sich nur retten kann, wenn er mit ihm zusammen das Land Nangijala verlässt; Krümel, der kleinere und ängstlichere der beiden Brüder, muss das Land, in dem er sich bewährt hat, verlassen, er muss springen; und er tut es. Das Buch endet so: „Ooh Nangilima! Ja, Jonathan; Ich sehe das Licht!“

Auch meine Erfahrung ist, dass sich Nangijala und Nangilima nicht gleichzeitig bewohnen lassen; das alte und das neue Land. Die Klippe deiner Erwartungen und die gegenüberliegende Ebene deines neuen Landes lassen sich nicht miteinander versöhnen; es bringt nichts zu verhandeln. Du musst springen, und du musst auch noch die Kraft aufbringen, zusätzlich zu dir selbst und deiner Angst deinen verwundeten Bruder zu tragen.

Trau dich! Der Abgrund dazwischen ist möglicherweise nicht so tief, wie du befürchtest. Du wirst es sehen. Und was soll schon passieren: du bist ja dabei! (Zitat mit freundlicher Erlaubnis von Hrn. Meyer, Bremen)