Von Luftgeigen und Singenden Sägen  

Dieses Bild klebte ich als Zehnjährige auf meine Geigenschule. Es fiel niemandem- auch nicht mir selbst- auf, dass sich hier ein Verdrehungsgefühl ausdrückte: verdeckte Linkshändigkeit.

Meine Großmutter liebte Musik, Malerei und jede Art von Schabernack; sie wuchs im Krieg auf und durfte daher nur die Volksschule besuchen. Ihr Leben lang hat sie bedauert, keine künstlerische Ausbildung erhalten zu haben. Manchmal spielte sie selig lächelnd Luftgeige vor unseren Augen- und strich den imaginären Bogen mit links. Wenn sie in der Luft Blockflöte spielte und dazu summte und tutete- dann hielt sie die linke Hand unten, die rechte Hand oben an der imaginären Flöte. Natürlich war meine Großmutter Linkshänderin, und eine stark ausgeprägte obendrein.

In der Kult- Kinderserie Pippi Langstrumpf (im Original von 1969/1971) gibt es die Folge, in der Annika und Tommy mit Pippi von zu Hause ausbrechen und auf Konrad, den Landstreicher treffen. Tommy lernt von Konrad dem Landstreicher, wie man die singende Säge streicht. Und er streicht mit links. Bogen links, Säge rechts, und los geht es. Tommy hat dabei das selige Lächeln im Gesicht, das auch meine Großmutter beim Luftgeigen hatte. Den beseelten Ausdruck finde ich in den Bildern Marc Chagalls wieder, der unter vielem anderen auch linksspielende Musiker in seine bunten Traumbildern malte- ob dies detailgetreue Abbildungen waren oder „erträumte“, wissen wir nicht. Ihre Ausdruckskraft bleibt vom Schönsten, was ich kenne.

Wie aber würde sich diese Ausdruckskraft verändern, wenn man meiner Großmutter, Tommy, Marc Chagall erklären würde: Mach das andersrum! Sonst bist du falsch!

Genau das passiert einem linkshändigen Kind auf nahezu allen Ebenen der klassischen Musik, denn die ist vom ersten Tönchen an streng reglementiert. Kaum verlassen wir das Hoheitsgebiet der Klassik, treffen wir auf viel diversifiziertere, buntere Welten des Instrumentalspiels. Viele Beispiele, und von sehr lebendigen Musiker_innen, sind auf linksgespielt zu finden. Ich nenne hier nur die allergeläufigsten aus der Vergangenheit, die wirklich jeder kennt. In Pop und Rock sind das Jimi Hendrix und Paul McCartney, die linksherum spielten; Ringo Starr hingegen spielte als Linkshänder auf einem rechtshändig aufgebauten Set wie unzählige andere Drummer vor und nach ihm. Der Stummfilmkünstler Charlie Chaplin spielte linkshändig Cello, weil es in der Filmwelt niemanden störte; in volksmusikalischen Gruppierungen aus aller Welt, von Süd- und Nordamerika über die wandernden Völker der Sinti und Roma und bis nach Indien und Afrika tauchen linksspielende Musikerinnen und Musiker an Blas- wie an Streich- und Zupfinstrumenten auf, an Trommeln sowieso. Diese Musikerinnen und Musiker nehmen nur selten den Umweg über die Musikhochschulen und lernen ihre Instrumente vom Herzen in die Hand.

Je weniger Regeln es also gibt, die von vornherein als gesetzt gelten, desto größer ist die Chance, bei der eigenen Lieblingshand bleiben zu dürfen, die man intuitiv sowieso wählen würde. Könnte es doch überall in der Musik so sein! Dein Bogen ist der Atem der Musik, heißt es schon in den alten Quellen. Dürfte doch jeder und jede mit der Hand atmen, die ihm, die ihr entspricht! Wozu sonst spielen wir denn?