Immer wieder höre ich, dass Linksspielen im Orchester unpraktisch wäre, weil man mehr Platz bräuchte. Das kann ich nicht bestätigen. Ein Bogen, der mit links gestrichen wird, braucht nicht mehr Platz als ein mit rechts gestrichener Bogen. Die Bögen kommen auch nicht miteinander ins Gehege, weil jeder Spieler sowieso seinen eigenen Kreis um sich herum hat: auch wenn beide Pultnachbarn symmetrisch streichen, hat jeder seine eigene Zone, seinen Bereich, der vom Bogen des anderen nicht überschritten wird.
Es gibt luxuriöse Vorteile, die ich genieße, wenn ich das Pult mit einer rechtshändigen Kollegin oder Kollegen teile. Zum Beispiel können wir wählen, ob die Bögen in der Mitte zueinander streichen (dann sitze ich rechts am Pult), oder ob sich die Instrumente in der Mitte Rücken an Rücken treffen sollen (dann säße ich links am Pult). Beides hat Vorteile. Manchen Kolleginnen ist das eine, anderen das andere angenehmer. Die Wahl zu haben, macht Spaß. Wenn die Bögen in der Mitte zueinander spielen, höre ich mehr von meiner Nachbarin als bei der konventionellen Sitz- und Spielweise, weil die Instrumente und auch wir Spielerinnen einander zugewandt sind. So zugewandt zu spielen, ist schön.
Manchmal höre ich die Sorge, dass linksspielende Musiker die übrigen im Orchester verwirren würden. Auch das kann ich nicht pauschal bestätigen. Ein Beispiel: während einer Matthäuspassion saß eine mir bekannte Oboistin den ganzen Probentag lang mir gegenüber, im anderen Chorus, wir hatten Blickkontakt. Nach der Probe, als sie mithörte, dass Kollegen mich auf das Linksspielen ansprachen, sinnierte sie: „Ach, das war es…. Ich dachte schon, irgendetwas ist anders…. hat sie eine neue Frisur, eine neue Brille? Also dann hast du also andersrum gespielt!“ Das war ein sehr lustiger Abend und eine große Freude für mich. Nebenbei belegt die Szene nochmal, dass das menschliche Gehirn Spiegelsymmetrie sehr gerne annimmt und meist nicht als störend empfindet.
Sollte sie aber jemand als störend empfinden, dann hilft es, miteinander zu reden. Ein Geiger erzählte neulich, dass es ihn verwirre, am Pult hinter mir zu sitzen, nicht aber mir gegenüber. Eine Lösung, mit der sich jeder wohlfühlt, ist dann meistens schnell gefunden.
Ich genieße noch einen zusätzlichen Vorteil: als umgeschulte Linkshänderin, die sowohl mit rechts als auch mit links ziemlich gut schreiben kann, kann ich auswählen, ob ich die Eintragungen in meinen Noten mit links oder mit rechts machen möchte. Ob es mir also gerade besser passt, die Bratsche oder den Bogen abzusetzen. Das ist zugegeben eine Kleinigkeit, aber: die Wahl zu haben, macht Spaß!