Umerziehen, 1. Streich

Wer der Meinung ist, dass heute kein linkshändiges Kind mehr umgeschult wird, der gehe in eine gut sortierte Spielwarenhandlung und betrachte die Spielzeuge genau: die Feuerwehrwagen, die ihre Kurbeln für Löschschlauch und Leiter ausnahmslos rechts von der Spule haben. Die Hubschrauber, deren Transportseile ebenfalls per Spule herunter- und wieder eingefahren werden können, angebracht natürlich rechts vom Heck. Die Spielzeugkassen, die über entzückende Eingabetasten und Quittierhebel verfügen, die entscheidenden Funktionen alle rechtsseitig angebracht. Die Telefone, die den Hörer/ das Hörerkabel auf der rechten Seite haben. Und natürlich die wunderbaren Zaubertafeln (heute Kleinkindtablets), deren Zauberstift mit einem Band an der rechten Seite der Tafel angebracht ist, welches zu kurz ist, um mit der linken Hand nach dem Über-die Tafel-Greifen auf der Tafelfläche auch nur eine kleine Welle zu malen; durch eindeutige Bebilderung wird dem Kind unmissverständlich gezeigt, wie rum die Tafel gehalten gehört (Umdrehen ist für ein vernünftiges Kind kaum möglich, wenn dadurch Schneewittchen auf dem Kopf steht).  

Weiter geht es im Kindergarten und in der Grundschule: Eine Bastelschere ist im Handel erstmal eine Bastelschere; möchtest du eine Linkshänder- oder beidseitig brauchbare Bastelschere, dann musst du es laut und rechtzeitig sagen und bekommst möglicherweise trotzdem keine. Dass ein normaler Anspitzer nur funktioniert, wenn du den Stift mit der rechten Hand hineinsteckst, fällt dir erst auf, wenn du es einmal andersrum probierst, oder alternativ: wenn du einmal versuchst, mit einem speziellen Linkshänderanspitzer in rechtshändiger Manier zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Wenn du schon dabei bist, kannst du mit deiner rechten Hand einen, sagen wir, 15cm langen Strich mit Hilfe eines Linkshänderlineals aufs Papier zeichnen und wirst entdecken, dass du rückwärts zählen musst: bei 15 setzt du an und bei 0 hörst du auf – denn sorum zeichnest du. Genauso geht es dem Linkshänder, der ein Rechtshänderlineal benutzt: er muss ständig um- und rückwärtsdenken.

Das Schreibenlernen ist eine noch größere Klippe als das Malenlernen. Wie viele Lehrkräfte an unseren Grundschulen sind ausgebildet für die besonderen Erfordernisse des Linksschreibens in unserer rechtshändig ausgelegten Schrift? Ein linkshändiges Kind muss ja die Schwünge von links nach rechts über das Papier schieben anstatt sie zu ziehen– die Bewegung ist das Gegenteil von dem, worauf die Schulbücher ausgelegt sind und braucht andere Anleitung. Oft sind aber selbst linkshändige Lehrerinnen und Lehrer aus ihrer eigenen Lernzeit unsicher in Bezug auf eine gute Stift-, Heft- und Körperhaltung, weil sie selbst nicht darin unterstützt wurden, sondern sich „durchwurschteln“ mussten- und geben dies an die Kinder weiter. Rechtshändige Lehrerinnen und Lehrer rechnen oft schlichtweg nicht mit linkshändigen Kindern und sind nicht auf deren Bedarfe vorbereitet. Dann hört das linkshändige Kind von Lehrern ein schulterzuckendes „Dann mach’s halt andersrum“. Es ist aber leider nicht genug, ein Kind beim Schreibenlernen sich selbst zu überlassen. Grundschulpädagoginnen und -pädagogen müssen ausgebildet werden, um auch linkshändige Kinder erkennen, begleiten und stärken zu können.